Das Totenschiff
neunzehnhundertzwölf und dem Tage der Abtretung?«
»Nein. Ich fuhr auf See.«
»Was Sie taten und wo Sie fuhren, will ich jetzt noch nicht wissen.«
»Stanislaw, da war der richtige Zeitpunkt, ihn über die Barriere zu ziehen.«
»Weiß ich, Pippip, aber ich wollte doch erst den Paß haben, dann hätte ich ihm eine auf die Nase gesetzt, eine Stunde ehe mein Schiff abging.«
»Haben Sie bei einer polnischen Behörde innerhalb Polens, die hierfür zuständig war, innerhalb der vorgeschriebenen Frist persönlich zu Protokoll gegeben, daß Sie Pole bleiben wollen?«
»Ich habe Ihnen doch schon gesagt, daß ich in den letzten Jahren nicht in Posen oder in Westpreußen war.«
»Das ist keine Antwort auf meine klare Frage. Ja oder nein?«
»Nein.«
»Haben Sie vor einem rechtmäßig bestallten polnischen Konsul im Auslande, der ausdrücklich bevollmächtigt war, Willenserklärungen solcherart anzunehmen, persönlich zu Protokoll gegeben, daß Sie polnischer Staatsangehöriger bleiben wollen?«
»Nein.«
»Was wollen Sie denn dann hier? Sie sind Deutscher. Scheren Sie sich zu den deutschen Behörden und belästigen Sie uns ja nicht mehr.«
Stanislaw erzählte das nicht kochend, sondern mehr traurig, weil er aus Gründen andrer Art dem Konsul nicht seine Meinung nach Seemannsart hatte sagen können.
»Sieh mal einer an«, sagte ich, »was diese neuen Staaten sich leisten. Das ist schon allerhand. Die werden es noch weit bringen. Du solltest nur mal sehen, wie weit es Amerika auf diesem Gebiete schon gebracht hat und wie es sich abrackert, es noch viel weiter zu bringen und das muffigste und verstaubteste preußischkaiserliche Beamtenhirnchen an Muffigkeit und Beschränktheit zu übertrumpfen. Gehe mal nach Deutschland oder nach Polen oder nach England oder nach Amerika und hilf mal deiner Ella mit Rotwein und Zimt und Nelken aus der Appelsoße, da hast du gleich ein Jahr weg, daß es nur so hagelt. Der Staat darf keinen Menschen verlieren. Wenn du aber ausgewachsen bist, dann will dich keiner haben. Du hast ja kein Vermögen, keinen Landbesitz, keinen Hausbesitz. Da geben die Staaten Millionen an Dollar aus, halten Tausende von Vorträgen, machen Filme und drucken Bücher, damit die Jungen nicht in die Fremdenlegion gehen sollen. Aber wenn ein Junge kommt und hat keinen Paß, geben sie ihm einen Tritt in den Hintern. Dann muß er in die Fremdenlegion oder, was viel schlimmer ist, aufs Totenschiff. Das Volk, das zuerst die Pässe aufheben und den Zustand wieder herbeiführen wird, der vor dem Freiheitskriege war und der niemand schadete und allen das Leben erleichterte, das Volk, das zuerst diese Tat vollführt, wird den Toten der Totenschiffe das Leben zurückgeben und den Besitzern der Totenschiffe den Spaß verderben.«
»Möglich«, sagte Stanislaw. »Von der ›Yorikke‹ kommt keiner mehr ’runter. Wie es heute ist, nicht. Er hat nur eine Aussicht, wenn sie abrutscht, und man rutscht nicht mit ab. Aber so sicher ist das auch nicht, man kann leicht auf einer andern ›Yorikke‹ landen.«
Stanislaw ging nun wieder zum Polizeipräsidium, Abteilung Staatsangehörigkeit.
»Der polnische Konsul nimmt mich nicht auf.«
»Das war vorauszusehen. Was machen wir nun, Koslowski. Sie müssen doch Papiere haben, sonst kriegen Sie kein Schiff.«
»Sicher, Herr Kommissar.«
»Gut, ich gebe Ihnen eine Bescheinigung, und da gehen Sie morgen früh um zehn zum Paßamt. Ist hier gleich dabei, Zimmer dreihundertvierunddreißig. Da kriegen Sie dann einen Paß. Mit dem Paß holen Sie sich dann Ihr Seemannsbuch.«
Stanislaw war froh, und die Deutschen hatten bewiesen, daß sie Leute waren, die noch am wenigsten Bürokraten genannt werden konnten. Er ging zum Paßamt, gab seine Bescheinigung ab und seine Photographien, unterschrieb seinen schönen Paß, bezahlte vierzig Trillionen Mark und bekam seinen Paß.
Alles stimmte in dem Paß. Es war ein gutes Papier. Stanislaw hatte nie in seinem ganzen Leben je ein so gutes Papier gehabt. Damit konnte er direkt nach New York fahren, so gut war das Papier. Er hätte nicht einmal nach Ellis Island gebraucht.
Alles stimmte, Name, Geburtsdatum, Beruf, Geburtsort. Was ist denn das? »Staatenlos.« Macht nichts, brauche ich nicht. Kriege ein Seemannsbuch. Und das, was bedeutet das? »Nur für das Inland gültig.« Wahrscheinlich denken die Beamten, daß man auch in der Lüneburger Heide mit Dampfern fahre oder daß man auf Elbkähnen rudern wolle.
Wieder ein Tag mehr, und Stanislaw
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