Das Trauma
hinaus und sehe das Neonlicht des gelben Klinkerkomplexes, in dem sich das Forsgrenska-Bad und die Bibliothek Medborgarplatz befinden. Das Licht spiegelt sich in den feuchten Steinen unten auf dem Platz wider, und Silhouetten von Menschen bewegen sich über die erleuchtete Außenfläche. Der Herbst hat die Stadt eingenommen, und die Dunkelheit wirkt unerbittlich und tröstlich zugleich. Regentropfen fallen auf mein Gesicht, und Kälte und Feuchtigkeit dringen durch meine dünne Kleidung.
Rasch schließe ich das Fenster und schaue mich im Zimmer um, um mich davon zu überzeugen, dass alles in Ordnung ist. Mitten in dem großen Besprechungsraum steht ein ovaler Tisch. Sieben Stühle sind darum herum aufgestellt. Vor fünf Plätzen liegen Block und Kugelschreiber. An der Wand eine große weiße Tafel, sorgfältig gesäubert. Es gibt noch einen kleineren Tisch mit Tassen, Thermoskanne, Teebeuteln und Kaffeepulver. An meinem und Ainas Platz liegen zwei Exemplare des Selbsthilfehandbuches für weibliche Gewaltopfer. Alles scheint vorhanden zu sein. Alle Vorbereitungen getroffen. Natürlich, ich würde nichts übersehen.
Ich schaue auf die große Uhr über der Querseite des Tisches. Viertel vor sieben. Die ersten Gruppenmitglieder werden bald hier sein. Die Einzige, die fehlt, ist Aina. Ich merke, wie ich gereizt werde, während ich zugleich ein schlechtes Gewissen habe. Was Aina für mich getan hat, ist unbezahlbar, kann nie aufgewogen werden. Ich bin wütend und verärgert, weil ich mich über eine Viertelstunde Verspätung aufrege, als Aina mit den Schlüsseln in der Hand und einer Kuchentüte zwischen den Zähnen hereingestürzt kommt.
»Entschuldige, das musste einfach sein.« Sie spricht durch die Zähne und nickt vielsagend zur Tüte hin.
»Du wolltest doch keine Kaffee-und-Kuchen-Therapie.«
»Nein. Scheiße, weiß ich doch. Aber dann habe ich mir die Sache anders überlegt, das hier ist ja keine Therapie, sondern eine Selbsthilfegruppe, und wir sitzen hier zwei Stunden, und es ist bald sieben, und wir werden Hunger kriegen.« Sie hat die Tüte aus dem Mund genommen und balanciert jetzt auf einem Bein, um ihre hohen Stiefel auszuziehen, dann flucht sie, setzt sich auf die Türschwelle und fängt an, mit beiden Händen daran zu zerren.
»Ich war ja von Anfang an für Kaffee, weißt du …«
Sie hebt abwehrend die Hand, um zu zeigen, dass sie diese sinnlose Diskussion beenden möchte. Die wir aus nahezu rituellen Gründen führen. Wir finden ein belangloses Detail, über das wir unterschiedlicher Meinung sind, um uns dann über die großen Fragen einigen zu können. Die wichtigen.
Die Klingel ertönt, und Aina springt auf, nimmt Stiefel und Kuchentüte und stürzt in die Teeküche. Ich gehe öffnen.
»So. Jetzt sind alle hier, und ich möchte Sie als Erstes in dieser Gruppe für weibliche Gewaltopfer willkommen heißen.«
Wir stehen vor der Tafel. Ich schaue verstohlen zu Aina hinüber. Sie hat ihre blonden Haare zu einem kunstfertigen Knoten hochgesteckt, und über ihren Schultern liegt ein schön gestrickter Schal.
Sie sieht konzentriert und ruhig aus. Selbstsicher. Wie eine, der man sich gern anvertraut. Ich selbst fühle mich müde und mitgenommen. Regen und Wind haben meine kurzen dunklen Haare durcheinandergebracht, und meine Kleidung ist zerknittert. Zugleich denke ich, dass es keine Rolle spielt, dass ich nach nichts Besonderem aussehe. Dass es dadurch nur leichter wird, ein normaler Mensch zu sein.
Ich schaue mir die Teilnehmerinnen an. Fünf Frauen in unterschiedlichem Alter sitzen hier um den Tisch. Sie vermeiden es, einander anzusehen, sie starren mich und Aina oder die Tischplatte an. Jede hat etwas Hilfloses und Unsicheres an sich.
Mir am nächsten sitzt eine Frau, die wohl in meinem Alter ist. Sie hat dichte dunkle, zu einem Pferdeschwanz gebundene Haare, abgewetzte Jeans und eine Kapuzenjacke. Ich staune darüber, wie durchschnittlich sie wirkt. Sie sieht aus wie die Schwester irgendeines Bekannten oder eine Freundin. Eine Kindergärtnerin oder Bankangestellte. Wenn man sie in der Stadt sähe, niemals würde man sie für ein Opfer von Gewalt halten. Was natürlich auf der Hand liegt – es gibt kein Muster für solche wie sie, wie uns. Die Frau rutscht verlegen hin und her, als spüre sie, dass ich sie betrachte. Sie dreht sich um und erwidert meinen Blick. Ihre Augen sind dunkel. Sie schaut mir ins Gesicht. Sie lächelt vorsichtig, unsicher, dann sieht sie ihre auf dem Knie gefalteten
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