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Das Trauma

Das Trauma

Titel: Das Trauma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Camilla Grebe
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der Arbeit meinen eigenen Ängsten zu nähern.
    Verlegen fahre ich mit der Hand über meine schwarze Tunika und starre den Linoleumboden an.
    »Okay, wir haben noch fünfzehn Minuten. Ich dachte, vielleicht könnte jede von Ihnen noch etwas zu ihrer eigenen Geschichte sagen?«
    Zu meiner Überraschung ist wirklich eine bereit, den Anfang zu machen. Wortlos hebt Malin die Hand und stellt damit klar, dass sie um das Wort bittet.
    »Ich fange gern an. Für mich … wie soll ich es sagen, für mich ist es nicht so schwer, darüber zu reden. Eigentlich bin ich vor allem … wütend.«
    Malin verstummt und begegnet meinem Blick. Es ist ganz still im Raum, nur das Dröhnen des Verkehrs ist zu hören, draußen in der herbstlichen Dunkelheit.
    »Auf wen sind Sie wütend?«, fragt Sofie zögernd. Und alle Blicke richten sich plötzlich auf das schmächtige Mädchen an meiner linken Seite. Sie sagt es so unbeschreiblich zaghaft, dass es wie eine Entschuldigung klingt und nicht wie eine Frage.
    »Auf mich selbst. Natürlich.«
    Malin lacht kurz und laut mit offenem Mund. Aus dem Augenwinkel kann ich sehen, wie Aina nickt, zum Kugelschreiber greift und sich eine Notiz macht.
    »Können Sie von Anfang an berichten? Was ist passiert?«, fragt Aina.
    »Es ist eigentlich eine reichlich …. jämmerliche Geschichte. Wir haben uns im Netz kennengelernt, dieser Typ und ich. Bei einem Chat, also nicht in so einem schmuddeligen Sexforum oder so, sondern einem für Langstreckenläufer. Ich laufe ziemlich viel, müssen Sie wissen. Ich wusste außerdem, wer er ist, das ist eine ziemlich kleine Welt, diese Leute, die auf so hohem Niveau laufen, und er wohnt auch draußen auf Värmdö …«
    Malins Stimme verstummt, und zu meiner Überraschung sehe ich, dass sie ihre mit Jeans bekleideten Oberschenkel krampfhaft umklammert. Von außen wirkt sie gelassen und beredt, aber ich bin jetzt überzeugt, dass es ihr trotzdem schwerfällt, darüber zu sprechen. Plötzlich atmet sie aus, seufzt tief und legt den Kopf ein wenig schräg.
    »Ich weiß, im Netz kann man niemanden kennenlernen. Eigentlich nicht. Es ist ja irgendwie nicht echt. Aber wir haben also gechattet und dann Mailadressen und Telefonnummern ausgetauscht, und dann haben wir gemailt und SMS getauscht. Es war … es war wohl ein Flirt, glaube ich. Obwohl – es war nichts Grobes an diesen Mails oder SMS , nichts Pornohaftes, wenn Sie verstehen. Aber okay, es war ein Flirt und vielleicht ein bisschen sexy. Aber es gab kein Anzeichen von … nichts, was erklären könnte … was dann passiert ist.«
    Alle nicken und sehen schweigend zu, wie Malin einen Fettstift hervorzieht und ihn in der Hand hält, ohne ihn zu benutzen.
    »Und eines Tages haben wir telefoniert und uns verabredet. Einfach so. Bei ihm. Ich weiß, das war ein großer Fehler«, sagt Malin und schüttelt den Kopf, so dass ihre kurzen blonden Haare sich wie ein Helm um ihren Kopf legen. Sie streicht den Pony zur Seite, hebt den Fettstift und zieht ihn langsam und mit zerstreuter Miene über ihre blassen, üppigen Lippen.
    »Das war mein erster Fehler. Aber nicht der letzte … Wir haben an dem Tag nach dem Büro einen kleinen Absacker genommen, wir hatten gerade unseren Bonus bekommen, ich arbeite als Anzeigenakquisiteurin, und jedes Quartal bekommen wir einen Bonus, wenn wir gut verkauft haben. Und gerade an diesem Tag hatten wir eigentlich alle einen bekommen. Einen Bonus, meine ich. Also … die Stimmung war großartig … gelinde gesagt. Alle haben mindestens vier, fünf Bier getrunken. Ich auch. Das Problem ist, dass ich nur selten trinke. Ich meine, an sich ist das ja kein Problem, aber …«
    Malin verstummt. Mustert eine nach der anderen schweigend, als ob sie sich fragte, ob sie uns vertrauen könnte. Ob wir ihr Vertrauen verdienten und damit umgehen könnten.
    »Ich war also betrunken. Ach, das war so blöd von mir.«
    Noch ein tiefer Seufzer, sie lässt den Kopf sinken und verschränkt die Hände auf dem Knie. Auf ihre stille und ernste Weise, die mich an eine Nonne oder Diakonisse denken lässt. Und plötzlich sieht sie eher traurig als wütend aus, und etwas in ihrem Gesicht, etwas in der tiefen Furche zwischen den Augen, in dem harten Zug um ihren Mund, lässt mich denken, dass sie um einiges älter ist, als sie auf den ersten Blick gewirkt hat. Ihre ganze Erscheinung hat etwas Resigniertes und vielleicht ein klein wenig Zynisches.
    »Ich versteh es nicht, versteh es nicht, versteh es nicht. Wie konnte ich so

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