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Das Traumcafé einer Pragerin - Erzaehlungen

Das Traumcafé einer Pragerin - Erzaehlungen

Titel: Das Traumcafé einer Pragerin - Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lenka Reinerová
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wieder einmal etwas Schönes sehen.«
    Und sie knöpfte die schwarze Pelerine auf, die zur Uniform des Wachepersonals gehörte, und sichtbar wurde ein dunkelblaues Kleid, bestickt mit rosa Blütenzweigen, von den Schultern bis fast zum Rocksaum.
    »Das ist sehr liebenswürdig von Ihnen, Madame«, sagte ich, ein wenig verblüfft und ein wenig gerührt, und verschränkte unwillkürlich die Arme vor meinem schon formlosen, seit Wochen und Monaten getragenen Kleid. »So etwas habe ich wirklich nicht erwartet.«
    »Passen Sie auf«, die Aufseherin lächelte, ihr Puppengesicht schmolz dabei ein wenig, als wenn es aus Wachs geknetet wäre, und mit einemmal schien sie beinahe jemand anderes zu sein, »das ist noch nicht alles. Ich habe Ihnen auch etwas mitgebracht.« Sie machte eine bedeutungsvolle kleine Pause und fügte fast flüsternd hinzu: »Es heißt nämlich, daß Sie unschuldig sind. Aber erwähnen Sie bitte ja vor niemandem, daß ich Ihnen das gesagt habe.«
    »Machen Sie sich keine Sorgen«, beruhigte ich sie, »ich werde niemandem sagen, Sie hätten mir verraten, Madame, daß ich unschuldig bin.«
    Da nickte die Aufseherin zufrieden und zog aus der Innentasche ihrer Pelerine ein winziges Päckchen hervor: »Hier!«
    Ich zögerte ein wenig. Madame Folette lächelte immer noch und verharrte in der geöffneten Tür, die dennoch undurchschreitbar war. Aber dann langte ich schnell nachdem Päckchen, wickelte es aus dem knisternden Papier, und wie ein heißer Atemzug schlug mir eine süße Duftwelle entgegen. »Veilchen!«
    »Die ersten dieses Jahres«, sagte Madame Folette, »für Sie, weil es heißt, daß Sie unschuldig sind.«
    Sie knöpfte die schwarze Pelerine zu, ihr Gesicht erstarrte, und sie schloß schnell von außen die Zellentür. Ich hörte das schwere Schloß zufallen und die Stöckelschuhe über die Steinfliesen des Korridors davonklappern. Die Veilchen lagen duftend in meiner Hand. Über Nacht verwelkten sie.
    Inzwischen war auch das längst vorbei. Jetzt schmerzte mein Rücken. Schließlich ist es ja auch etwas ungewöhnlich, auf einem Bürotisch zu schlafen und das schon die sechste Nacht. Ich rekelte mich ein wenig, dabei fiel ich beinahe hinunter. Da war es doch besser, still liegenzubleiben. Obwohl das nicht so einfach war, bei diesem Lachen, das nunmehr in gekräuselten, sich überstürzenden und dann wieder klatschend davoneilenden Wellen auf mich zukam.
    Wem konnte hier bloß zum Lachen zumute sein? Es kicherte und gurgelte und grölte unentwegt, mein ganzer Kopf füllte sich allmählich damit. Und bald erkannte ich auch: Diese Laute kamen von der Straße, darüber gab es keinen Zweifel. Von der Straße, aber auf ganz verrückte Weise.
    War ich auf dem Kopf gestanden, als ich solchem Lachen zum erstenmal begegnet war, oder war ich damals gar auf Händen gelaufen? Vergeblich versuchte ich, mich genau daran zu erinnern. Auf jeden Fall war es auf völlig ungewohnte Weise zu mir gedrungen, das stand fest. Und es war ein gedrucktes Lachen gewesen, auch darüber gab es keinen Zweifel, das wußte ich bestimmt.
    Aber halt, so etwas gibt es ja gar nicht. Lachen kann doch bloß gelacht werden. Und verboten, das natürlich auch. Verbieten kann man alles. Drucken übrigens auch. Wüßte man denn sonst, ob und wie Generäle lachen, zum Beispiel Frankreichs Kollaborations-General Marschall Pétain? (Kann ein General überhaupt noch lachen; nachdem er sein Land einem anderen, fremden General ausgeliefert hat?) Und wie Madame Pompadur gelacht hat, ohne dabei das schwarze Schönheitspflästerchen auf ihrer Wange zu verrücken, und wie der bucklige Glöckner von Notre-Dame? Wie Jeanne d’Arc und all die Könige und Kardinäle und die Inquisitoren und ihre Henkersknechte?
    Nichts von alledem wüßte man, und schon deshalb mußte sie geschrieben werden, geschrieben und gedruckt, die Geschichte des Lachens, L’Histoire du Rire. So war es.
    Ich war gesessen, als ich jenem gedruckten Lachen begegnet war. Jetzt erinnerte ich mich ganz genau daran, nicht auf dem Kopf gestanden oder gar auf Händen gelaufen, sondern gesessen, sogar in zweifachem Sinn, da man mich vom Justizpalais im grünen Anton – panier à salade, Salatschüssel heißt das in Frankreich – quer durch Paris zum Gefängnis Petite Roquette zurückgeschaukelt hatte. Der Krieg war damals knapp zwei Wochen alt, und das Drunter und Drüber in meinem Kopf stand durchaus im Einklang mit dem ebenso unangenehmen Drunter und Drüber, dem ich in der winzigen

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