Das Traumcafé einer Pragerin - Erzaehlungen
Autozelle physisch ausgesetzt war. Durch einen schmalen Spalt in der Autowand, der zum Atmen und keineswegs zum Hinausschauen gedacht war, hatte ich mit angestrengt zusammengekniffenen, gierig suchenden Augen einen Streifen bedruckten Papiers erblickt. Nurfür einen Augenblick. Dickbäuchige, respektable Buchstaben auf der glatten Fläche eines Plakats: L’Histoire du Rire. Das war alles. Aber war das überhaupt möglich? Gedrucktes Lachen, bestimmt für andere Leute, die hingehen – wo hingehen? – konnten und sie womöglich kaufen und lachen, L’Histoire du Rire, die Geschichte des Lachens.
Warm werden konnte man in jenem Haus mit den unvorstellbar dicken Wänden, das nun in beklemmender Wucht im Nonstopfilm hinter meinen geschlossenen Augenlidern in Erscheinung trat, eigentlich nur ab und zu unter der heißen Dusche. Durchgeschüttelt und dummgefroren nach besagter Rückfahrt vom Justizpalais, bei der ich von der Geschichte des Lachens Kenntnis bekommen hatte, war ich froh gewesen, als am Nachmittag das Pergamentgesicht einer Nonne in der Zellentür auftauchte und eine Papierstimme anordnete: »Baden gehen!«
Der Gefängniskorridor war eine langgezogene, dumpfe Grotte mit Zugluft und blaugrünem Dämmerlicht. Die hölzernen Treppen krachten hohl unter den Füßen, und die wegen der ständigen Flugangriffe tiefblau bepinselten hohen Fenster klirrten dazu. Musik und Begleitakkorde in einer Kirche ohne jedes Gebet. Draußen schien vielleicht die Sonne, aber der Krieg hatte die großen Fenster nachtblau gefärbt und winselnde Sirenen auf das Dach gesetzt. Auf diese Weise wirkte das unheilvolle Gefängnisgebäude noch unheildrohender als sonst.
Die Nonne trippelte dicht hinter mir, schnelle, harte Schritte. Ab und zu streifte ihr schwarzes Gewand meine Schulter oder mein Bein. Sofort versuchte ich größeren Abstand zu halten. Aber sie atmete gleich wieder hastig dicht hinter mir.
Wollte dieses Treppenhaus überhaupt kein Ende nehmen?
Endlich standen wir vor einer schmalen Tür, hinter der Wassergeplätscher zu hören war.
»Alles muß sehr schnell gehen«, sagte die Nonne und legte mir ihre heiße Hand auf die Schulter, »Sie müssen sich ganz schnell ausziehen.«
Übergangslos traten wir aus der menschenleeren, frostigen Dämmerung in das dampfende Badehaus eines reichlich besetzten Harems. Nackte Frauenarme und beine ringsum, feuchtglänzende Schultern, Wassertropfen im Haar, Seifenschaum auf Rücken und Bauch.
»Schnell«, sagte die Nonne nochmals, »ausziehen!«
Ich schlüpfte hinter eines der zahlreichen Laken, die hier als Trennwände aufgespannt waren, entledigte mich rasch meiner Kleider und stellte mich unter den heißen Wasserstrahl. Eine farblose Hand hielt mir ein Stück Waschseife hin, berührte dabei wie zufällig meine Brust. Ich zuckte zurück. »Ich wasche mich gern ohne Zeugen.«
Das Pergamentgesicht verzog sich zu einer merkwürdigen Grimasse, die Hand blieb unschlüssig in der Luft hängen, glänzte feucht.
»Wenn du lieb bist«, flüsterte es plötzlich hastig aus dem wächsernen Gesicht, »du bist doch lieb?«
»Raus hier!«
Ich schob das Laken wütend zwischen mich und die unverschämten Augen. Aber zwischen mich und das scheppernde, fast blecherne Lachen, das nun erklang, konnte ich nichts schieben. Als ob es mit den Dampfschwaden durch den ganzen Raum zöge, kicherte und tröpfelte und quietschte es glitschig aus allen Ecken. Ein häßliches, unheimliches, nie zuvor gehörtes Lachen, das inmitten der feuchten Wärme auf dem ganzenKörper Gänsehaut hervorrief. Quel’histoire du rire! Eine feine Lachgeschichte!
Du liebe Zeit, dachte ich damals, als ich vergeblich versuchte, mich mit dem dünnen Handtuch trockenzureiben, wie wird sich jetzt bloß der Rückweg in die Zelle durch das dunkle Treppenhaus abspielen? Ich spürte, wie ich vor Angst und Unbehagen ganz steif wurde, weder Arme noch Beine bewegen konnte, vor allem die Beine nicht, die immer schwerer und schwerer wurden . . .
Ein weicher, in seiner Reinheit nahezu rührender Laut durchdrang in diesem Augenblick die Wirrnis der bedrängenden Traumbilder. Leicht, wie eine vom Wind getragene Flaumfeder, flatterte er durch die noch stille Straße, hüpfte durch den geöffneten Fensterspalt in den freudlosen Büroraum, in dem eine schlafende Frau auf dem Tisch lag.
Ich schlug die Augen auf. War wirklich schon alles vorbei?
Der Frühvogel sang.
Ach, nur die Nacht war vorbei, aber schon jede zu Ende gegangene Nacht war ein
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