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Das Traumcafé einer Pragerin - Erzaehlungen

Das Traumcafé einer Pragerin - Erzaehlungen

Titel: Das Traumcafé einer Pragerin - Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lenka Reinerová
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italienischer Herkunft gewesen sein soll. Woher aber kamen die Härte und überraschende Schärfe in ihrem Blick? Von ihrem Vater, der, so hieß es, Arzt in Bern war? Was hatte den Weg des jungen Mädchens gekreuzt, wo war der Bruch in ihrer Entwicklung entstanden? Wann hatte sie sich zum erstenmal an dem Gedanken heimlicherMacht über Menschen berauscht, wann hatte sie sich entschlossen, diesem Machtrausch alles unterzuordnen? Gewiß, die Möglichkeit, Macht auszuüben, hat schon viele Menschen unter den verschiedensten Umständen an den Rand katastrophaler Entscheidungen und Lebenslagen gebracht. Und nicht nur an ihren Rand. Je beschränkter die Möglichkeiten vorher waren, je dürftiger die Quellen ihres inneren Reichtums, um so zügelloser strapazierten sie die Verlockungen geraubter oder ihnen törichterweise anvertrauter Macht.
    Aber dieses wohlbehütete, sorgfältig erzogene und gebildete Mädchen aus der geruhsamen Stadt Bern?
    Als ich der Mory im Gefängnis zur kleinen wilden Ranke begegnete, hatte sie schon Verrat, indirekten, nichtsdestoweniger bewußten Mord hinter sich. Aber noch war sie menschlicher Regungen fähig.
    »Ich habe deine Freundin gestern im panier à salade, in der grünen Minna, gesehen«, flüsterte sie Tonka einmal von Zelle zu Zelle zu. »Sie sieht schlecht aus und war auch zu dünn angezogen. Kannst du nicht etwas tun? Sprich doch mit deiner Anwältin.«
    Zwei, drei Jahre später lief sie gemeinsam mit den Polizeihunden der SS vor den Transportzügen herum, und wo sie hinkam, kam der Tod mit ihr. Auf wen sie zeigte, wessen Namen sie niederschrieb, wen sie mit dem Ochsenziemer oder mit der Injektionsnadel berührte, den hatte »der schwarze Engel des Todes« berührt.
    Als junges Mädchen hatte die Mory in München Journalismus studiert. Von Haus aus daran gewöhnt, mehrere Sprachen zu beherrschen, kam sie leicht vorwärts und erhielt auch bald eine Stellung beim Ullstein-Verlag.
    Hatte sie sich wohl gefühlt in der schönen Stadt an der Isar? Was hatte auf die Studentin der Publizistik einen tieferen Eindruck gemacht: die großartigen Kunstwerke in der Alten Pinakothek und die gepflegte Ruhe im Englischen Garten oder das Getöse und die harten Worte im Hofbräuhaus? Als der Putschist Adolf Hitler in Deutschland die Macht an sich riß, war Carmen Maria Mory achtundzwanzig Jahre alt. Vielleicht saß sie mit an einem der langen Holztische in dem düsteren Gewölbe der Bierhalle, mitten unter den grölenden und rülpsenden Trinkern, die mit den Füßen stampften und die hohen gläsernen Litergefäße schwangen, »Heil Hitler!« schrien und »Juda verrecke!«. Vielleicht hatte sie damals noch der Ekel gewürgt, aber vielleicht hatte sie sich gerade dabei zum ersten Mal gesagt, daß sie mit von der Partie sein möchte, bis diese Männer, die alles wollten und alles um jeden Preis, loszogen, um die Welt zu erobern, auch wenn sie sie dabei kurz und klein schlagen mußten.
    Hatte sich die junge Frau aus der kleinen Schweiz in München für Großdeutschland entschieden, hatte ihr die Maschinerie der Macht so imponiert?
    Carmen Maria Mory muß als junges Mädchen schön gewesen sein. Nicht rührend, nicht ergreifend, eher beunruhigend, umheimlich schön. Vielleicht ist sie gerade dadurch dem kleinen Mann mit dem verkümmerten Klumpfuß aufgefallen. Mag sein, daß es Hitlers Propagandaminister war, der sie davon überzeugt hatte, daß Macht ohne Skrupel, Macht um der Macht willen, Macht über Menschen das erregende Abenteuer ist, das einem das Leben bieten kann.
    Als sie nach Frankreich kam, die Schweizerin Mory, waren ihre Gesichtszüge bereits hart. Die Aufträge, diesie in Deutschland übernommen hatte, ließen keine weibliche Unberechenbarkeit, keine frauliche Weichheit zu. Der eine war bereits abgeschlossen, von der Zeit und den Ereignissen überholt, als uns der Zufall zusammenführte, ein richtiges Bravourstückchen. Beim abendlichen Flüstergespräch im Pariser Gefängnis gab sie es einmal zum besten:
    »Emigranten? Quatsch!« sagte sie damals, als jemand erfahren hatte, im Erdgeschoß seien die Massenzellen voll von deutschen Emigrantinnen. »Wahnsinnige, die partout ihren Kopf riskieren wollen. Als ob man im Reich nicht alles von ihnen wüßte. Da gab es in Paris eine Gruppe, die hatte sich auf das Saargebiet spezialisiert. Ein gewisser Max Braun hatte ein Büro, in dem er illegale Kuriere aus Deutschland empfing. Die sind dann wieder brav zurückgegangen an die Saar und haben sich

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