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Das Traumcafé einer Pragerin - Erzaehlungen

Das Traumcafé einer Pragerin - Erzaehlungen

Titel: Das Traumcafé einer Pragerin - Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lenka Reinerová
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verhältnismäßig groß, der Korridor, durch den ich geführt worden war, recht breit, alle Mauern des alten Gebäudes schienen ungewöhnlich dick zu sein.
    »Hé, la petite nouvelle! Hör mal, Neue: Stell deinen Schemel zur Tür und klettere da rauf. Die Aufseherin verteilt am anderen Ende der Division die Abendsuppe. Tu dein Ohr an das Gitter über der Tür. Ich spreche von gegenüber, kannst du mich hören?«
    Ich tat, was mir geraten wurde, und konnte sie hören.
    »Ich heiße Gilberte und bin Französin. Und du?«
    »Ich bin Tschechin.«
    »Mais alors! Das ist interessant. Warum bist du hier?«
    »Weiß ich nicht.«
    »Weißt du nicht? Hier ist die Spionageabteilung, mon chou, das weißt du auch nicht?«
    »Doch, doch. Aber . . .«
    »Wirst dich schon gewöhnen. Was ist draußen los, was gibt es Neues?«
    »Seit zwei Wochen Krieg.«
    »Das weiß ich, obwohl ich schon bald ein Jahr hier bin. Attention, die Aufseherin kommt! Iß deine Suppe, bis sie die Eßschalen sammeln geht, können wir wieder reden. À tout à l’heure! Auf bald!«
    Jeden Morgen, jeden Mittag und jeden Abend haben wir von da ab ein paar Sätze miteinander gewechselt. Das war sehr wichtig, denn draußen konnte jeden Tag etwas geschehen, das entscheidenden Einfluß auf unser Schicksal haben konnte. Die ganze Abteilung tauschte politische Nachrichten aus. Nebenbei erfuhr ich so auch allerhand über die Insassinnen unserer 11. Division. Was ich hörte, verschreckte mich zunächst etwas, aber dann überlegte ich: Man hatte mich und meine Freundin Tonka hierhergebracht, weil man uns – zu Recht – entschiedener Sympathien für die Sowjetunion verdächtigte, was im französischen Chaos der ersten Kriegswochen und im Hinblick auf den kürzlich abgeschlossenendeutsch-sowjetischen Nichtangriffspakt – zu Unrecht – als staatsfeindliche Haltung eingeschätzt wurde. So saßen wir beide in der Spionageabteilung des Pariser Frauengefängnisses, und Gilberte klärte mich auf:
    »Die kleine Rothaarige neben mir war die Geliebte eines französischen Offiziers, der gottweißwarum – sie jedenfalls weiß es nicht – vor einigen Wochen verhaftet wurde. Eine Zelle weiter sitzt eine Frau, die betet den ganzen Tag, bien bête, ça, hübsch blöd so was! Die Frau in der Zelle neben dir wurde hier wahnsinnig, die redet Tag und Nacht mit einem deutschen General Milch, dem sie ununterbrochen Meldung erstattet.«
    »Und du, Gilberte?«
    »Ich? Pech gehabt. Meine Affäre hängt mit der Redaktion des Figaro zusammen, genauer gesagt, mit einem Redakteur des Figaro , mit dem wiederum ich ziemlich zusammenhänge. Über ein Jahr sitze ich jetzt schon in diesem Loch. Wenn das so weitergehen sollte, mache ich Schluß. Toi et ta copine, du und deine Freundin, ihr seid bisher die einzigen von der anderen Seite, die sie zu uns gesteckt haben. Die Mory sagte gestern, das ist typisch für die Idiotie der Behörden.«
    »Die Mory?«
    »La plus grande personalité de la division, sitzt im Korridor um die Ecke, die mit der lauten Stimme, daran kannst du sie erkennen. Ist noch länger hier als ich.«
    »Weiß man warum?«
    »Oui et non, ja und nein.« Gilberte kicherte leise. »Goebbels weiß es bestimmt. Sie ist übrigens Schweizerin, die Mory, eine tolle Frau.«
    »Warum?«
    Dieses Gespräch führten wir an einem Morgen. Mittagswar ich beim Untersuchungsrichter, die Flüsterunterhaltung fiel deshalb aus. Am Abend bot mir Gilberte an:
    »Wenn du deiner copine etwas bestellen willst, kannst du es mir sagen, ich gebe es hinüber durch, in die Zelle neben dir, von dort geht es dann wieder herüber und so im Zickzack weiter bis zu ihr.«
    »Nicht nötig«, sagte ich, »danke.«
    Gilberte schwieg eine Weile, dann flüsterte sie: »Wie du willst. Aber hier hat noch keine eine andere aufgeschmissen. Du mußt keine Angst haben, auch wenn du von der anderen Fakultät bist.
    »Merci, vielleicht später.«
    Aber später gab es Gilberte nicht mehr. Eines Abends hat sie sich mit einer kleinen Scherbe beide Pulsadern aufgeschnitten. Man brachte sie weg, und ob sie es noch überlebt hat, habe ich nie erfahren.
    »Und die Mory?« fragte der Mann neben mir und zündete sich eine weitere Zigarette an. Seine Hände zitterten ein wenig. Ich blickte ihm ins Gesicht. Es war gespannt, als ob er auf Schlimmes gefaßt wäre. »Die aus Ravensbrück.«
    Carmen Maria Mory war eine ungewöhnlich intelligente Frau. Die dunklen Haare und die großen schwarzen Augen hatte sie wohl von ihrer Mutter, die

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