Das Traumcafé einer Pragerin - Erzaehlungen
alte Nonne wohl noch dabei war, als die Mory aus der Petite Roquette entlassen wurde? Ob wohl noch eine von den Frauen aus der 11. Division, die einander nur im Luftschutzkeller zu sehen bekamen, bewegungslos in der Mitte ihrer Zelle stand, von wo man die Geräusche aus dem Korridor am besten hören und enträtseln konnte, als die schwere Tür im Treppenhaus hinter der »Prominenten der Elften« zum letztenmal ins Schloß fiel?
Paris versuchte damals noch an seine Verteidigung zu glauben. Die Bauersfrauen aus den Dörfern in unmittelbarer Nähe der Maginot-Linie brachten Käse und Wein aus den Kellern ihrer Häuser und bewirteten damit die Soldaten und Offiziere ihrer französischen Armee. Als sie dann wieder allein blieben, die Frauen, hielten sie voll Sorge Ausschau in den Himmel. Werden die dröhnenden schwarzen Vögel wiederkommen? Wird es in diesem Frühling nur deutsche Bomben regnen?
Und sie kamen. Die metallenen Vögel und die krachenden Bomben. Und Panzer auf den schlammbedeckten Landstraßen und Fallschirmjäger in geflecktenUniformen. Und hinter ihnen die Geheime Staatspolizei, der Sicherheitsdienst und die schwarze Schutzstaffel SS. Mit verschlossenen Gesichtern betrachteten die Frauen, Kinder und alten Männer die Deutschen, von denen viele einen Totenkopf über dem Mützenschild hatten. Was brachten sie? Was sollte nun werden? Oh, mon Dieu!
Carmen Maria Mory befand sich zu jener Zeit in Mittelfrankreich. Hatte sie ihr Wort gehalten? Versuchte sie in den kurzen Wochen der allgemeinen Auflösung überhaupt, Frankreich nützlich zu sein? Das Land, das sie zum Tode verurteilt hatte, bewarb sich um ihre Dienste. Statt zur Wand, von der es keinen Rückweg gibt, schritt sie neuen Abenteuern entgegen. Das war entscheidend. Das allein.
Tours an der Loire. Hinter den schmalen Türen der spitzgiebeligen Bürgerhäuser und hinter den hohen Fenstern der Kathedrale schienen Träume von Jahrhunderten verwunschen zu sein. Wenn der Mond nachts mit zitternden Strahlenfingern den stillen Flußwellen seine Botschaft anvertraute, dort, wo die schöne Loire ihren Liebsten, den Strom Cher in sich aufnimmt, mochten Träume Wirklichkeit werden.
Haben die beiden Flüsse an ihren Ufern jemals die dunkelhaarige Fremde mit den unruhigen Augen gesehen, die sich einen Teufel um ihre Schönheit scherte? Sie war in die Tourraine gekommen, weil die Waagschalen der Macht ins Wanken geraten waren. Hier wollte sie abwarten, welche, von größerer Wahrscheinlichkeit beschwert, eher zum Stillstand kam.
Tours zählte, bevor es der Flüchtlingsstrom erreichte, rund neunzigtausend Einwohner. Zweiundneunzigtausend Frauen sind in Ravensbrück ums Leben gekommen.
In Tours wurde die Mory von den Deutschen verhaftet.
Anni Peczenik aus Österreich lebte damals noch in Frankreich und meine kleine Schwester in Prag. Im Lager Rieucros, wo ich gefangen war, erschien die erste deutsche Kommission. In Paris trafen sich kommunistische Arbeiter zu ersten gemeinsamen Beratungen mit Vertrauensleuten eines nach London entkommenen französischen Generals. Er hieß Charles de Gaulle, und man wußte damals noch nicht allzuviel von ihm. Die Soldaten der deutschen Wehrmacht waren noch von dem angenehmen Wahn befangen, der ganze Krieg sei ein vergnüglicher Spaziergang, von dem man allerhand nützliche oder auserlesene Geschenke nach Hause schicken konnte. Reichsprotektor von Böhmen und Mähren war noch der monokelbehaftete Freiherr von Neurath. In Berlin flüsterte man von den ersten Zusammenstößen zwischen Admiral Wilhelm Canaris, dem Chef des deutschen Abwehrdienstes im Ausland, und SS-Obergruppenführer Reinhard Heydrich, dem ehrgeizigen jungen Chef der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes.
In Tours hatte man die Schweizerin Carmen Maria Mory wegen deutschfeindlicher Tätigkeit zugunsten Frankreichs hinter Schloß und Riegel gesetzt. Dieselbe Mory, die Goebbels persönlich kannte, die in Paris in einem Schrank saarländische Emigranten bespitzelt, die für das Dritte Reich an der Maginot-Linie Spionage getrieben hatte und deshalb von einem französischen Gericht zum Tode verurteilt worden war. Zum Tode verurteilt, aber begnadigt, um für Frankreich und gegen das Dritte Reich Spionage treiben zu können.
Jetzt saß sie abermals im Gefängnis, die Mory, selbstsicherund arrogant wie immer, und wieder einmal wartete sie.
Aber nicht lange. Eines Tages erschien eine Ordonnanz und legte den Leuten des Admirals Canaris und dem Kommandanten des
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