Das Traumcafé einer Pragerin - Erzaehlungen
Gefängnisses Papiere vor, versehen mit einem Stempel und einer Unterschrift, die eine magische Kraft auszuüben schienen. Welcher deutschen Stelle auch immer sie in Tours unterbreitet wurden, stets riefen sie dieselbe Reaktion hervor: neue Stempel, weitere Unterschriften. Zu Befehl! Heil Hitler! Bitte sehr, Herr Kamerad! Sieg Heil!
Auf Grund des letzten Stempels und der letzten Unterschrift wurde die Mory einem jungen Offizier der SS übergeben. Als man sie holte, langte sie nach ihrem Pelzmantel, überpuderte das Gesicht (niemand mußte erkennen, daß sie trotz ihrer scheinbaren Ruhe doch etwas blaß geworden war), strich den großen Mund mit dem Lippenstift nach und ließ sich hinausführen. Auf dem Gefängnishof stand ein Auto bereit. Hinter der Stadt wartete ein Flugzeug. Ein Sonderflugzeug.
»Können Sie mir erklären . . .«, fragte die Mory am Rande des improvisierten Flugfelds, nun doch nicht mehr imstande, ihre Unruhe zu verbergen.
Der junge Offizier schlug die Hacken zusammen, half ihr beim Einsteigen in die Maschine, sagte jedoch kein Wort. Sonderbefehle von Reinhard Heydrich wurden niemandem erklärt.
Als die Anni Peczenik in Wien verhaftet wurde, legte man ihr schwere Handschellen an. Als meine kleine Schwester in Prag von der Gestapo geholt wurde, hat man ihr dabei einen Zahn ausgeschlagen. Nichts dergleichen, bei weitem nichts dergleichen drohte der Mory.
Das Flugzeug, in dem sie bequem saß, stieg elegantzum Himmel, zum Kriegshimmel des Jahres 1940 empor, überflog einige Staatsgrenzen, die inzwischen ihre Bedeutung verloren hatten, überflog vorrückende deutsche Armee-Einheiten, ratlose Flüchtlingsströme und nicht enden wollende Transporte von Kriegsgefangenen. Es landete in Berlin. Dort stand abermals ein Auto bereit. Carmen Mara Mory wurde höflich aufgefordert umzusteigen. Ohne zu zögern, kam sie diesem Ersuchen nach. Sie war kein Anfänger, und ihre Erfahrung besagte: Per Sonderflugzeug und Sonderwagen fährt man nicht seinem Ende entgegen.
Sie witterte neue Abenteuer. Und das war entscheidend. Das allein.
Man brachte sie in das Gebäude des Polizeipräsidiums. In dasselbe Gebäude, in dem es üblich war, neu eingelieferten Häftlingen die Knochen zu brechen und die Zähne auszuschlagen.
Und wiederum drohte nichts dergleichen Carmen Maria Mory. Keiner der Totschläger wagte sich an sie heran, denn sie stand unter mächtigstem Schutz. Und unter strengstem Geheimbefehl. Zur persönlichen Verfügung des Chefs. Der hatte jedoch kein persönliches, vielmehr ein durchaus sachliches Interesse an der deutsch-französischen Spionin aus der Schweiz. Warum sollte er nur auf die Nachrichten und Spekulationen des Abwehrdienstes von Admiral Canaris angewiesen sein? Weitaus vorteilhafter und verläßlicher war es, eigene Informationen zu sammeln. Diese Frau mußte mehr über die deutsch-französischen Beziehungen, als es ein Mosaik von mitunter zweifelhaften Berichten und Meldungen zu vermitteln vermochte. Und zudem mußte sie ihre Kenntnisse ausschließlich ihm persönlich zur Verfügung stellen. Das war der Preis für ihr Leben.
»In drei Wochen hatte ich ihn soweit . . .«, sagte die Mory später über ihre Gespräche mit Reinhard Heydrich aus. Wie weit aber hatte sie ihn, den Mann, der sie jeden Augenblick vernichten konnte? Was war mit im Spiel, wenn diese beiden miteinander sprachen? Wenn die eisig blauen Augen des Obergruppenführers der Schwarzhemden mit dem Totenkopf über der Stirn und die harten, fiebrig glänzenden Augen der machtbesessenen Abenteurerin einander begegneten, muß es geknirscht haben, wie wenn Steine aufeinanderschlagen.
»Aber wie ist sie dann nach Ravensbrück gekommen? Und wieso als Häftling, als Blockälteste, und nicht als Aufseherin oder etwas Ähnliches?«
»Das weiß ich nicht. Vielleicht war Heydrich enttäuscht, weil sie weniger wußte, als er angenommen hatte. Vielleicht hat jemand von den Canaris-Leuten seine Abwesenheit von Berlin ausgenützt. Schließlich wurde er ja eines Tages Reichsprotektor von Böhmen und Mähren.«
»Sicher. Eines Tages wurde er auch in Prag erschossen.«
Die beiden Männer, meine Freunde, waren unverkennbar ungeduldig und nervös. Das merkte ich an der Unzahl von Zigarettenstummeln, mit denen der eine den Aschenbecher füllte, an der Art, wie der andere seine Pfeife ausklopfte. Schluß, schienen ihre fahrigen Gesten zu besagen, genug. Für Männer ist wahrscheinlich die Vorstellung eines Lagers, in dem Frauen mißhandelt wurden,
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