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Das Traumcafé einer Pragerin - Erzaehlungen

Das Traumcafé einer Pragerin - Erzaehlungen

Titel: Das Traumcafé einer Pragerin - Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lenka Reinerová
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pflegten Dampfer mit Material nach Ravensbrück zu fahren. Am Landungssteg warteten die Frauen. Keine Lastautos und keine Zugpferde, die gefangenen Frauen. Sie schleppten Ziegel, Koks und Briketts an Land. Trugen Säcke mit Sand und weißem Betonpulver auf dem Rücken, bauten Stunde um Stunde, Tag um Tag die hübschen Häuser der SS. Rissen sich die Hände an Kanalisationsrohren wund, fügten die einzelnen Teile dieser Rohre mit ihren blutenden Händen zusammen, schichteten Ziegel auf Ziegel. Wohnzimmer, Speiseraum, Küche, Schlaf- und Kinderzimmer.
    Sie haben auch die Straße gebaut, auf der unser Wagen so mühelos dahinglitt. Als sie gewalzt wurde, die neue Straße, zogen die hungernden Frauen die Walze. Weil sie billig waren, billiger als Tiere.
    »Möchtest du eine Decke?« fragte mich der Pfeifenraucher. Ich schüttelte den Kopf. Da wandte er sich wieder um, rückte aber ein wenig vor, damit ich meine Hand zwischen die Polsterung und seinen Rücken schieben konnte. Am liebsten hätte ich mich ganz dorthin verkrochen.
    Von den Köpfen der Bronzemädchen an der Wegkreuzung war inzwischen der Rauhreif verschwunden. Nun wirkten sie noch kahler. Nationale Mahn- und Gedenkstätte. Zu große Worte, zu oft gehört, zu oft schon achtlos wiederholt: Sie befinden sich nun . . . Unser Rundgang beginnt . . .
    Pssst, dachte ich, nicht so laut.
    In Fürstenberg hielt der Mann am Steuer. »Wir sollten etwas essen, sonst wird es zu spät.«
    Wir stiegen aus, gingen zu dritt hinüber zu der HO-Gaststätte auf der anderen Seite der Straße.
    Schmorbraten mit Rotkohl. Kasseler Rippchen. Noch ein kleines Helles. Tante Irma muß mal. Heinz-Dieter ist schon in Stimmung, gleich beginnt er zu singen. Bin sofort bei Ihnen, mein Herr. Wohin so eilig, junge Frau?
    »Seid mir nicht böse, aber . . .«
    »Schon gut«, sagten die beiden. Auch sie wollten nicht hier bleiben. Das ging jetzt einfach nicht.
    »Wißt ihr was«, der Mann am Steuer zündete sich eine Zigarette an, bevor er wieder anfuhr, »ich kenne ein gewöhnliches Fuhrmannsgasthaus ein paar Kilometer weiter von hier. Dort kriegen wir bestimmt auch etwas zu essen, ohne den Trubel da drinnen.«
    Die Stadt entschwand. Birken zu beiden Seiten der Landstraße. Ein Hase hockte auf einem leeren Feld. Ein schütteres Wäldchen. Der Schwanensee entschwand. Das Bild fuhr mit. Eichen an der einen Seite der Straße, dahinter ein behäbiges, einzeln stehendes Haus. Buntkarierte Vorhänge an den kleinen Fenstern.
    »So. Da sind wir.«
    An den fünf Tischen in der geräumigen Gaststube saß niemand. Bloß an der Theke unterhielt sich ein älterer Mann halblaut mit der Wirtin. Wir setzten uns auf die Holzbank in der einen Ecke. Vom hohen Kachelofen strömte angenehme Wärme herüber.
    »Was darf es sein?« fragte die Wirtin und wischte mit einem Geschirrhandtuch über die bunte Tischdecke.
    »Erst mal ein Korn für jeden«, bestellte der Mann, der diesen Gasthof schon von früher kannte. »Können wir auch etwas zu essen bekommen?«
    »Bockwurst mit Kartoffelsalat.«
    »Sehr gut. Aber zuerst den Korn, uns ist kalt.«
    Im Gesicht der Frau bewegte sich nichts. Sie lächelte nicht, sagte auch nichts mehr, kehrte wortlos zu derTheke zurück und füllte drei Gläschen mit dem klaren Schnaps.
    »Bitte. – Dreimal die Bockwurst mit Salat?«
    »Jawohl.«
    Als sie die gläserne, mit farbigem Papier beklebte Tür öffnete, die zur Küche führte, knurrte dort ein Hund. Freundlich, fast zärtlich, beruhigte sie ihn.
    Das Getränk war scharf, brannte wohltuend in Kehle und Magen. Meine klammen Hände wurden warm, ich fühlte, wie mir das Blut auch in die Wangen stieg.
    »Das tut gut.«
    »Korn ist nicht schlecht. Und nach dem Essen bekommst du noch einen Kaffee.«
    Die Pfeife lag auf dem Tisch, neben ihr der wohlvertraute Tabaksbeutel. In der Stube war es still. Die Frau wirtschaftete in der Küche, der Mann an der Theke qualmte bedächtig an einer kurzen, dicken Zigarre.
    Vielleicht war alles gar nicht wahr. Vielleicht war alles ganz anders. Vielleicht . . .
    Was sollten die Ausflüchte? Mag sein, daß alles noch ganz anders war. Schlimmer.
    Nach dem Essen rauchten die beiden Männer, ich trank meinen Kaffee. Im Fenster summte eine einsame Fliege, die hier anscheinend überwinterte.
    »Du hast die Frau dort auf dem Foto wirklich aus dem Pariser Gefängnis gekannt?«
    »Die Mory? Ja, sicher.«
    Am ersten Abend in der Petite Roquette vernahm ich plötzlich ein Flüstern. Woher? Die Zelle war

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