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Das Traumcafé einer Pragerin - Erzaehlungen

Das Traumcafé einer Pragerin - Erzaehlungen

Titel: Das Traumcafé einer Pragerin - Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lenka Reinerová
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an der Straße. Über den Betrieb in der ersten Gaststätte, aus der wir davongelaufen waren, über das Bronzedenkmal an der Wegkreuzung, die Villen am Seeufer, die Schulkinder vor der Glastür des Krematoriums und über die Schwäne auf dem ruhigen Wasser. Über dieses Land, auf dessen tadelloser Landstraße wir fuhren, und das unser Nachbarland ist.
    Schwanensee, Schwanensee . . .
    Ich saß hinter ihnen, fror in meinem pelzgefütterten Mantel, wäre gerne zwischen ihnen gesessen, scheute mich, es ihnen zu sagen. Draußen pickte eine große Krähean einem noch dampfenden Pferdeapfel. Ein paar Spatzen hockten mit aufgeplustertem Gefieder daneben und sahen ihr neidvoll zu.
    Hat meine kleine Schwester die Anni gekannt? Hat die Anni gewußt, daß »der schwarze Engel des Todes«, so wie sie, aus Frankreich gekommen war? Hat die Mory die kurzsichtige Wienerin, die meine Freundin war, umgebracht? Hat sie die junge Tschechin, meine kleine Schwester, in den Tod geschickt? Wie war das alles gewesen, und warum? Warum?
    Was sollen solche Fragen. Sie können doch nichts ändern an den unwiderruflichen Tatsachen.
    Als sie nach Ravensbrück gebracht wurde, die Carmen Maria Mory, auf Grund eines dummen Versehens oder einer verwickelten, undurchsehbaren Absicht, wer weiß, begann für sie ein Abenteuer, von dem selbst sie bislang keine Vorstellung hatte. Sie wäre ohnmächtig geworden, behauptete sie später zum ersten Mal in ihrem Leben ohnmächtig, als man sie in das Lager einlieferte.
    Hat sie sich damals geschworen, alles zu tun, aber auch buchstäblich alles, um hier nicht leben zu müssen? Wurde die arrogante, anmaßende und herrschsüchtige Mory von würgendem Grauen geschüttelt, als sie die mageren, kahlköpfigen Frauen in den Fetzen der Lagerkluft erblickte? Waren solche Wesen denn überhaupt noch Frauen? Bekam sie, die bisher so selbstsicher war, Angst, sie könnte eines Tages auch so aussehen, so grau und verloschen, so unauffallend, übersehbar, mehr tot als lebendig, eine Nummer, niemand, nichts?
    Zwischen den Baracken schnauften nachts die Spürhunde der SS. Drinnen liefen am Tage wohlgenährte Aufseherinnen mit frisch gelegten Locken herum, im Tuchkostüm,nach Seife und Sauberkeit riechend. Kommandierten mit gesunder, kräftiger Stimme. Rissen derbe Witze. Lachten laut. Klatschten mit kurzen, elastisch wippenden Peitschen auf ihre festen Schenkel. Wenn sie auf die anderen Frauen einschlugen, auf die mit den Nummern über einem farbigen Dreieck auf dem dünnen Arm, schien es gar nicht, als ob sie ihresgleichen quälten. Waren diese Gestalten überhaupt noch Frauen? Ein Hauch von Tod ud Verwesung umgab sie. In den Augen der Mory waren sie tilgbare Kartotheknummern, abgeschrieben, aus.
    Ob sie dazu ausdrückliche Weisung hatte oder nicht, sie wußte jedenfalls auch hier, wo ihr Platz war. Schließlich hatte sie einst im Schrank gehockt, um Menschen in ebensolche Lager zu bringen.
    So wurde aus der Prominenten des Pariser Gefängnisses, aus der wechselhaften Agentin von Großmächten, die Blockälteste von Nr. 10, der »schwarze Engel des Todes« in Ravensbrück.
    Sie nannten Nr. 10 den Block der Wahnsinnigen, die Aufseherinnen, denen nichts Unmenschliches fremd war, und die Ärzte, die, statt Leben zu erhalten, systematisch Tod säten. Wenn eine Frau nachts verstört nach ihrem Mann rief, wenn eine Mutter aus dem Schlaf hochfuhr und verzweifelt nach ihren Kindern schrie, wenn die Bergarbeiterfrauen aus dem böhmischen Dorf Lidice an Angstvorstellungen litten, dann wurden sie kurzerhand für wahnsinnig erklärt und in Block Nr. 10 übergeführt. Dort nahm sie die Blockälteste in Empfang. Ihr Blick war so hart . . ., wie wenn Steine aufeinanderschlagen . . ., daß selbst die Lebensmüden bis in den letzten Winkel flüchteten. Hart waren auch ihre Hände.
    Als Carmen Maria Mory zur Blockältesten von Nr. 10 ernannt wurde, wußten die Frauen in Ravensbrück kaum etwas über sie. Im Laufe von wenigen Wochen erfuhren sie dann fast täglich etwas Neues: Sie hat die Pritschen wegbringen lassen, jetzt gibt es nur noch auf den Boden gestreutes Stroh. Sie hat die Fenster mit Brettern vernageln lassen. Sie hat fünfzig, sechzig Frauen in einen Raum gezwängt, in dem zehn schon zuviel waren. Auf solche Weise bekam die Mory den Beinamen »der schwarze Engel des Todes«. Schwarzer Höllengeist wäre zutreffender gewesen.
    Bei dieser Betätigung wurde die Berner Arzttochter kein einziges Mal ohnmächtig. Im Gegenteil. Etwas

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