Das Traumcafé einer Pragerin - Erzaehlungen
der USA ausgehändigt. Meine Mitgefangenen behaupteten, ich sei dabei erst errötet und dann auch noch blaß geworden. Das mag sein, ich weiß jedoch, daß meine Verblüffung, Erregung und Erwartung mit einemplötzlichen, unbeirrbaren Gefühl gepaart war: Mit diesem Brief wird alles ganz anders. Und in der Tat. Mein einstiger Chefredakteur, der Prager Schriftsteller Franz Carl Weiskopf teilte mir kurz und sachlich mit, man sei dabei, mir ein Visum für Mexiko sowie die notwendige Schiffskarte zu besorgen. »Man« war die League of American Writers, ich war eine völlig unbekannte Journalistin im ersten Anfangsstadium, ein Mädchen aus Prag, das Weiskopf und Kisch unter ihre Fittiche genommen hatten und mit Hilfe amerikanischer Kollegen und weiterer Freunde, so lange es noch möglich war, aus dem kriegsverseuchten Europa retten wollten.
In der folgenden Nacht lag ich wie in jeder anderen in der überfüllten, zugigen und dennoch stickigen Baracke auf meiner schmalen Pritsche und konnte nicht einschlafen. Rings um mich wurde gestöhnt, geschnarcht, geweint, »Ruhe!« gezischt, Mäuse raschelten, Holzpantinen knarrten, wenn sich eine der Frauen auf den felsigen Weg in die Latrine aufmachte, draußen pfiff der Wind, bellte ein Hund, ließ sich die versoffene Stimme des Lagerobersten, Polizeikommissar Vessambert vernehmen. An all das war ich längst gewöhnt. Aber nun steckte unter meinem Kopf in den Falten meiner grobfasrigen Gefangenenkluft der Luftpostbrief mit der Nachricht: Wir holen dich nach Mexiko. Der ließ mich nicht schlafen.
Wird es gelingen? Werde ich rechtzeitig wegkommen? Und wünsche ich mir das überhaupt? Bis ans andere Ende der Welt, während meine Mutter und Schwestern . . . Mexiko. Schon dieses Wort klingt wie ein Abenteuer. Wie würde ich in solcher Ferne allein . . .
Als es dann eines Tages wirklich so weit war, als man mich aus Rieucros entließ, nach Marseille transportierte, dort im Hotel Bompard, einem zu einem Polizeigefängnisumorganisierten einstigen Bordell internierte, von wo aus ich meine Abreise betreiben konnte, war von Schlaf wiederum keine Rede, obwohl der Strohsack hier schon auf einem eisernen Bettgestell lag und nicht auf einem Bretterboden. Das Visum war bereits da und wurde mir vom Generalkonsul der Vereinigten Staaten von Mexiko, Señor Gilberto Bosques, persönlich in den Paß gestempelt. Aber die Schiffskarte ließ auf sich warten. Werde ich ins Lager zurück müssen? Werde ich fortkommen, ehe die Deportationen nach Hitlerdeutschland auch in Marseille voll einsetzen? Kann eine so unverhoffte, so unwahrscheinliche Chance überhaupt wahr werden?
Das war allerdings nur ein Teil meiner beharrlichen Sorgen. Aber auch ein anderen Teil meiner Befürchtungen ließ sich nicht ganz abwehren. Wie lebt man in Mexiko, der Heimat von Indianern, dem Land mit Vulkanen und Pyramiden? Wie werde ich dort zurechtkommen und wovon werde ich leben?
»Señorita«, sagte mir Generalkonsul Bosques, als ich meinen Paß mit dem Visum zwar freudig, aber offensichtlich nervös entgegennahm, und ein beruhigendes Lächeln erhellte die männlich kräftigen Züge in seinem Gesicht, »Señorita, nun wird alles gut, Mexiko freut sich auf Sie.«
Diese Worte brachten mich beinahe noch mehr aus der Fassung. Nach fast zwei Jahren Gefängnis und Lager, ständiger Unsicherheit und Bedrohung, mit einem Mal – Mexiko freut sich auf Sie!
Es ergaben sich jedoch weitere Hindernisse. Als die Schiffskarte endlich da war, konnte ich das mit Flüchtlingen aus den vom Krieg heimgesuchten Ländern Europas überfüllte französische Schiff mit dem amerikanischenNamen Wyoming besteigen, das uns zur Insel Martinique bringen sollte, von wo aus die Fahrt zum amerikanischen Kontinent weitergehen sollte. Aber wir kamen nur bis Casablanca. Der Krieg hatte uns eingeholt, hielt uns hier fest. Mein erstes Abenteuer auf diesem neuen Abschnitt meines Lebens wurde auf diese Weise die Bekanntschaft mit der Sahara. Geradenwegs vom Schiff wurden wir in das Wüstenlager Oued-Zem verfrachtet. Bislang war es ein Standort der Fremdenlegion gewesen, jetzt wurden hier verschreckte Flüchtlinge und allerorts verfolgte Antifaschisten interniert, und die Fremdenlegionäre avancierten zum Wachpersonal. Die Hitze war niederdrückend, Wasser gab es kaum, jeden Tag starb jemand. Von hier mußt du weg, sagte ich mir, laß dir etwas einfallen. Am Tag des Überfalls Hitlers auf die Sowjetunion marschierte ich aus dem Brutkasten der Wellblechbaracke in
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