Das Traumcafé einer Pragerin - Erzaehlungen
keineswegs würzig war. Erst danach schritt ich kräftig aus.
Zweite Landung in Mexiko
In Prag erzählt man von jeher gern Witze, die bei weitem nicht immer politisch sein müssen. Oft enthalten sie einen guten Rat, beleuchten ein verwickeltes Problem von seiner lösbaren Seite, befreien zum Lachen, wenn einem zum Weinen zumute ist, enthalten fast stets ein wunderbares Körnchen Weisheit. In den verschiedensten Lebenslagen wird bei uns – mitunter nur andeutungsweise – immer wieder der folgende jüdische Witz erzählt:
Einst lag ein weiser Rabbi im Sterben. Die angesehensten Männer der Gemeinde waren an seinem Lager versammelt und beschworen ihn, er möge nicht von ihnen gehen, ohne einen Rat zu hinterlassen, der sie im Leben weiterhin geleiten könnte.
Der Rabbi schwieg.
Sie flehten ihn an, ihnen solch einen Rat nicht zu versagen, vielmehr den Weg vorzuzeigen, auf dem sie sich in Hinkunft zurechtfinden könnten.
Der Rabbi schwieg.
Schließlich unterbrachen sie ihr inständiges Bitten und auch ihr pausenloses Gebet, und der Älteste unter ihnen erhob seine Stimme und erklärte beinahe bedrohlich: »Rabbi, du darfst deine ganze Weisheit nicht mit ins Grab nehmen. Wir wollen ja nicht alles wissen, wie es dir gegeben war, hinterlaß uns nur das Wichtigste.«
Da schlug der sterbende Rabbi endlich noch einmaldie Augen auf und flüsterte: »Alles ist anders.« Und verschied.
Ich weiß nicht mehr, wann ich diesen Witz zum ersten Mal gehört habe, vielleicht als Kind aus dem Mund meiner Großmutter, die ansonsten durchaus nicht zu scherzen pflegte. Vielleicht als ich von ihr wissen wollte, warum sie immer in schwarzer Kleidung umhergehe, was andere alte Damen nicht so strikt taten, oder warum sie meiner Mutter den Namen Franziska gegeben hat, der mir recht altmodisch vorkam, warum . . . Es spricht für meine Großmama, daß sie auf meine lästigen, endlos vorgebrachten Fragen mit einem Witz antwortete, der beinahe eine kleine rätselhafte Geschichte war und mir zu denken gab: Alles ist anders?
Es kann jedoch auch sein, daß ich diese Anekdote von jemand anderem mitbekommen habe. Später, wenn sich in meinem Leben Begebenheiten im Gegensatz zu meinen Vorstellungen oder Wünschen entwickelten, war der kluge Stoßseufzer: »Alles ist anders!« oft geradezu tröstlich, bewahrte mich vor sinnlosem Trotz. Es konnte jedoch passieren, daß dieses »anders« unvorhergesehen, unerwartet, ja ungeahnt und überraschend wunderbar sein konnte. Zum Beispiel, als ich nach fast einem halben Jahrhundert mein großherziges Asylland Mexiko, ungeahnt und unerwartet, wiedersehen durfte.
Weil ich aus derselben Stadt komme, in derselben Straße wohnte, im Exil während der deutschen Besetzung meiner Heimat und dem zweiten Weltkrieg in denselben Ländern Zuflucht fand, zum engen Kreis seiner Freunde gehörte und ihn überlebte, also von ihm erzählen kann, werde ich oft in Zusammenhang mit dem klassischen Reporter und Prager Schriftsteller Egon Erwin Kisch gebracht. Eines seiner Bücher, das weltweitAufsehen erregt hat, heißt »Landung in Australien«. Er wollte dort an einem Weltkongreß gegen den in Europa um sich greifenden Faschismus teilnehmen, und als man ihm die Landung verweigerte, erzwang er sie, indem er vom Deck des Schiffes, mit dem er angekommen war (man stelle sich die Höhe eines etwa mehrstöckigen Hauses vor), kopfüber in den Hafen hinuntersprang. Er bezahlte diesen Sprung nur mit einem Beinbruch und kurzer Haft. Wie er mir viel später erzählte, hatte er damit gerechnet, sich dabei das Genick zu brechen, habe jedoch in seiner Erregung dieses Risiko auf sich genommen.
Als ich 1941 zum ersten Mal und 1993 zum zweiten Mal in Mexiko landete, mußte ich weder vom Schiff, noch aus dem Flugzeug springen. Beide Male durfte ich nicht nur ganz unbehindert an Land gehen, ich wurde sogar erwartet, man hieß mich willkommen – alles war ganz anders.
Bei der Postausgabe im französischen Frauenlager Rieucros, wo ich in den ersten Kriegsjahren interniert war, zählte ich immer zu den Ungeduldigen. Merkwürdigerweise hatten wir dort den Status von Kriegsgefangenen, und so konnte ich ab und zu eine Postkarte aus dem von Deutschland besetzten Prag mit den regelmäßigen Schriftzügen meiner Mutter und mit den krakelig hingekritzelten verschlüsselten Botschaften und Grüßen meiner jüngeren Schwester in Empfang nehmen. Eines Tages wurde mir jedoch zu meiner Überraschung ein blau-rot gerändertes Luftpostkuvert mit dem Stempel
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