Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Traumcafé einer Pragerin - Erzaehlungen

Das Traumcafé einer Pragerin - Erzaehlungen

Titel: Das Traumcafé einer Pragerin - Erzaehlungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lenka Reinerová
Vom Netzwerk:
schillerndes Vögelchen. Aus dem Buch erfuhr ich, daß dieses kleinste Vöglein Kolibri heißt.
    Diese Beschreibung habe ich wohl ungezählte Male gelesen. Ist so etwas überhaupt möglich, grübelte ich, kann es ein so unvorstellbar kleines Wesen irgendwo in Wirklichkeit geben?
    Anfang Dezember 1941 landete ich an Bord der Serpa Pinto zum ersten Mal in Mexiko. Sah zum ersten Mal den tiefblauen und dabei leuchtenden Himmel über mir, die von Schnee bedeckten, am Abend rötlich erglühenden Gipfel der gigantischen Vulkane Popocatepetl und Ixtaccihuatl, von denen der erste eine männliche Gestalt und der zweite eine dahingestreckte Jungfrau verkörpern soll. Zum ersten Mal biß ich in eine heiße Tortilla, nahm meinen ersten Schluck Tequila, hörte zum ersten Mal die Melodien einer durch die Straßen streifenden Mariachi-Kapelle, wurde allerorts gastlich aufgenommen, stieß überall auf hilfsbereite Hände, fand meine Freunde wieder, auch meinen lieben Prager und Versailler Nachbarn Egon Erwin Kisch. Verklärt meine Erinnerung diese ersten Stunden und Tage im Land der Azteken? Wohl kaum.
    Ich habe einen stummen Zeugen dafür. Vor dem Eintreffen der Flüchtlingsgruppe von der Serpa Pinto haben unsere Freunde in der mexikanischen Hauptstadt eine »Kleiderkammer« eingerichtet. Schon längere Zeit im Land angesiedelte und inzwischen gut installierteEmigranten halfen bei der Sammlung eines Vorrats an verschiedenen, nicht neuen, aber gut erhaltenen Kleidungsstücken, die uns nun zur Verfügung standen.
    Mir war diese ganze Aktion nicht geheuer. Im Frauenlager Rieucros war auch eines Tages aus der Schweiz oder den USA eine Sendung mit gesammelten Kleidungsstücken eingetroffen. Als die Kartons geöffnet wurden, kamen Stöckelschuhe und Abendkleider zum Vorschein, nur ganz wenige brauchbare Sachen, die meisten waren in unserer Lage völlig unnütz. Aber etwas hatten wir doch davon: Einige Frauen setzten zu ihrer Gefangenenkluft einen eleganten Hut auf, andere rissen sich um seidene Nachtwäsche – ein paar Stunden lang glich Rieucros einer Karnevalsstadt. Dann griff die Kommandantur ein.
    Daran mußte ich denken, als ich die mexikanische »Kleiderkammer« betrat. Die war allerdings von erfahrenen Emigranten vernünftig zusammengestellt. Zu meinem einzigen Kleid kamen nun zwei weitere hübsche hinzu, auch ein brauchbares Nachthemd . . . auf einmal fiel mein Blick auf einen langen Rock aus schwarzem Taft. Zum Spaß probierte ich ihn an.
    »Der steht Ihnen aber großartig, wie für Sie geschneidert«, bewunderte mich eine der Frauen, die bei der Verteilung halfen.
    »So etwas brauche ich aber nicht«, sagte ich und schlüpfte mit leichtem Bedauern aus dem schönen Ding wieder heraus.
    »Unsinn«, meinte die gute Frau, »nehmen Sie den Rock, er paßt Ihnen wirklich wunderbar. Es wird sich schon eine Gelegenheit finden, ihn auszuführen.«
    Ich ließ mich nur allzu gern überreden, ohne ahnen zu können, daß ich nur wenige Wochen später in der tschechoslowakischenExilbotschaft arbeiten und bei verschiedenen Anlässen in der Tat ein solches Glanzstück benötigen würde.
    Der schwarze Rock, von dem ich nie erfahren habe, wer ihn vor mir getragen hat, war das Prachtstück meiner Garderobe in Mexiko. Nach Kriegsende hat er mich nach Jugoslawien begleitet, war dabei, als ich in der diplomatischen Vertretung der Tschechoslowakei in Belgrad plötzlich dem legendären Parisanenführer Tito gegenüberstand und verblüfft den walnußgroßen Diamant anstarrte, der an einem Bändchen um seinen kräftigen Hals baumelte. Der gute Rock kehrte schließlich mit mir nach Prag heim, zeigte Ausdauer und blieb mir treu. Als meine Tochter heranwuchs, fand sie das immer noch leidlich erhaltene Stück sehr kleidsam, führte es gern bei Studentenbällen aus. Der brave Rock ließ all dies über sich ergehen. Wenn ihn meine Anna jetzt aus ihrem Schrank in London hervorholt und gegen das Licht hält, weist er zwar schon eine Reihe winziger Schadstellen auf, aber meine heranwachsende Enkelin findet ihn lustig und bekleidet sich manchmal gern mit ihm. Eigentlich sollten wir dem »Mexikaner«, wie er bei uns heißt, schon seine verdiente Ruhe gönnen, und wäre er nicht inzwischen mit einer geradezu familiären Legende behaftet, hätten wir das wohl bereits getan. So aber fällt uns die Trennung von solch einem treuen Weggefährten schwer.
    Aber zurück zu meiner ersten Landung in Mexiko. Konsul Bosques hatte mir in Marseille versprochen, alles wird gut.

Weitere Kostenlose Bücher