Das Traumcafé einer Pragerin - Erzaehlungen
das steinerne und somit etwas kühlere und mit Ventilatoren bestückte Gebäude des Kommissariats. Ich ließ mich beim Lagerkommandanten melden, und es gelang mir in der Tat, diesen französischen Offizier dazu zu bewegen, mir als Tschechoslowakin – also einer verbündeten Nation angehörend – einen Urlaubsschein für 48 Stunden zu erteilen. Mehr brauchte ich nicht, Oued-Zem sah mich nie wieder.
Es folgte ein fast halbjähriger Aufenthalt in Casablanca. Ich hatte keine Ausweispapiere für Marokko, besaß neben einem warmen Kostüm und Pullover nur ein Kleid für die afrikanische Hitze, hatte keine Arbeitserlaubnis und kein Geld, war ganz allein – eine verzweifelte Lage? Es war alles ganz anders.
Ich kannte niemanden, und schon gar nicht aus Prag, dem es geglückt war, Afrika kennenzulernen. Man reistein jener Zeit nicht so wie heute, und jetzt war auch noch Krieg. Ich war jung und lebenshungrig! Und so lief ich in Casablanca umher, im arabischen Viertel Medinah und im jüdischen Mellah, schaute Schlangenbeschwörern zu, hörte zweimal am Tag die seltsamen Rufe der Muezzins, lebte nicht von Brot und Wasser, sondern vorwiegend von Tee und billigem mehligem arabischem Brot; an zwei Tagen in der Woche gestattete ich mir den Luxus eines klebrigen Kuchens, der mir geradezu köstlich schmeckte. Die Polizei ließ mich so ziemlich in Ruhe, ab und zu tippte ich für einen tschechischen, hier längst angesiedelten Unternehmer etwas ab und bekam dafür ein paar Franken. Dann begab ich mich auf einen kurzen Ausflug nach Rabat, der Residenzstadt des Sultans, ließ mich von der einzigartigen Lage auf einer schmalen, ins Meer auslaufenden Landzunge und der fremdartigen Blumenpracht in den gepflegten Gärten bezaubern und vergaß beinahe, daß ich doch eigentlich ein gestrandeter Flüchtling war. Mein mexikanisches Visum war abgelaufen, ich brauchte auch eine neue Schiffskarte. Da geschah ein Wunder: Als sich mir endlich die Möglichkeit einer Weiterfahrt eröffnete, kam alles rechtzeitig an, das erneute Visum, eine neue Schiffskarte, und ich war gerade mit einer ziemlich unangenehmen Gelbsucht fertiggeworden. Was hatte mir Gilberto Bosques in Marseille versprochen? »Nun wird alles gut, Señorita!« Diesmal kam es zum Glück nicht anders.
Während der gut vier Wochen auf dem portugiesischen Flüchtlingsschiff Serpa Pinto (Rosa Schlange) zwischen Casablanca und Veracruz versuchte ich Spanisch zu lernen. Das war nicht ganz einfach. Die Sprache gefiel mir und schien auch nicht sonderlich schwierig zusein. Aber ich lebte und schlief wie auch viele meiner Mitreisenden auf dem Deck unter freiem Himmel, weil ich in den überfüllten Tiefen der einstigen, jetzt zu Schlafstellen zurechtgezimmerten Lagerräume des Schiffes keine Luft bekam. Zum Lernen gab es auf dieser Fahrt nicht eine ruhige Minute.
Drei Menschen starben unterwegs, zuerst ein Kind, und wurden vom Deck der Rosa Schlange ins Meer versenkt. Wenige Tage vor unserer Ankunft in Mexiko überfiel Japan die amerikanische Flotte im Hafen von Pearl Harbour, der Krieg griff auf den amerikanischen Kontinent über. Die Europaflüchtlinge auf dem Schiff gerieten in Panik.
Ich lehnte an der Reling, auf meinem Gesicht prickelte die salzige Meeresluft, und ich wehrte mich mit aller Kraft gegen die allgemein um sich greifende Aufregung. Die Freiheit, die mir so lange entglitten war, lag jetzt schon in Reichweite. Bald sollte dieser Traum zur Wirklichkeit werden. Das wollte ich mir nicht nehmen lassen. Nun kam mir zugute, was ich im Gefängnis gelernt hatte. Ich holte tief Atem und flüchtete in meine innere Welt.
Als ich noch ein ganz kleines Mädchen war, besaß ich ein Kinderbuch, dessen Titel und Autor mir inzwischen entfallen sind, das ich jedoch besonders liebte und bis heute nicht vergessen habe. Es erzählte von Tieren in einem Dschungel, die sich untereinander in menschlicher Sprache verständigten. Wenn sich z.B. Urwaldjäger näherten, dann rief der Tiger dem Äffchen und der Löwe dem Kakadu und der wiederum anderen Freunden zu: »Menschen, Menschen sind im Walde!« Und dieser Warnruf wurde von Bananenstaude zu Kokospalme ins tiefste tropische Dickicht weitergegeben:»Menschen, Menschen sind im Walde!« Ich habe ihn als Kind aufgenommen und vermeine ihn auch heute noch mitunter zu hören.
An anderer Stelle wurde in meinem Lieblingsbuch eine Liane geschildert, übersät von rosa und pfirsichfarbenen Blüten. Auf einem ihrer hauchdünnen Blätter saß ein winziges, bunt
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