Das Traumtor (German Edition)
nicht gesehen. So blieb ich stehen und lauschte den zarten Melodien, die der Laute unter seinen kundigen Händen entströmten. Er, der harte Kämpfer, in dessen Hand nur ein Schwert zu passen schienen, griff mit so viel Zartgefühl in die Saiten, daß ich völlig gefangen war. Die weichen Moll-Melodien drangen mir ins Herz und vertieften meine Melancholie.
Und dann begann Rowin zu singen. Seine Stimme war ein weicher, volltönender Bari-ton, und das Lied, das er sang, trieb mir die Tränen in die Augen. Es war so voller Zärtlichkeit, so voller Schmerz, und nie in meinem Leben werde ich die Worte dieses alten valaminischen Liebesliedes vergessen:
Die Nacht ist mild. Kein Lufthauch weht,
und wie einen Fieberschauer geht
dein Bild mir übers Herz.
Bist du auch fern, ich bin dir nah,
seit ich das erste Mal dich sah.
Und nie vergeht mein Schmerz.
Geliebte, Deine Stimme klingt
noch immer tief in mir.
Und tief aus meiner Seele dringt
mein banger Ruf nach dir, mein banger Ruf nach dir.
Und trennt uns auch die Ewigkeit,
Niemals vergesse ich die Zeit,
so süß, so voller Glück,
da ich dich in den Armen hielt.
Im Herzen blieb mir nur dein Bild.
Du selbst kommst nie zurück.
Doch immer wieder hoff‘ ich noch,
daß ich dich wiederseh‘.
Einmal erfüllt mein Wunsch sich doch:
wenn ich in Tod vergeh‘, wenn ich in Tod vergeh‘.
Rowins Stimme verklang. Wie im Traum stand ich immer noch an die Brüstung gelehnt und lauschte den letzten verwehenden Akkorden der Laute. Sein Lied hatte in mir eine Sehnsucht erweckt, die wie ein süßes Gift durch meine Adern strömte, doch auch die unbestimmte Ahnung von einem tiefen Schmerz. Aber da hatte Rowin mich bemerkt. Er legte das Instrument auf die Stufen und kam zu mir herauf. Ich wollte etwas sagen, wollte unbefangen seinen Gesang loben, doch meine Stimme versagte. Er trat dicht zu mir heran, und ich fühlte, daß mein Herz mir bis zum Hals in auf-schlug, als er nun seine Arme um mich legte.
„Athama!“ Er sprach den Namen so aus, daß er wie eine Liebkosung über meinen Körper rieselte. Und dann zog er mich dicht an sich heran. Unsere Lippen fanden sich, und es war mir, als sei dieser Kuss der Erste in meinem Leben.
„Das ist Wahnsinn, Rowin!“ flüsterte ich, als er mich aufhob und durch die Räume zu seinen Gemächern trug. „Bedenke doch, daß ich nicht hierher gehöre! Ich bin nicht von einer Art, eine Fremde in deiner Welt. Eines Tages werde ich Valamin vielleicht wieder verlassen müssen – du weißt das und ich weiß das. Ich will nicht, daß du dein Herz an mich verlierst.“
Doch er schaute mich nur an, und unter dem zärtlichen Blick dieser meergrünen Au-gen verstummte mein schwacher Protest. Er legte mich wie eine Feder auf seinem Bett nieder und beugte sich über mich.
„Du bist nicht von dieser Welt, Athama, ich weiß es“, sagte er leise, „und ich weiß auch, daß du eines Tages vielleicht gehen mußt. Doch da ist noch etwas anderes, das ich ebenso weiß: du bist eine Frau und ich bin ein Mann – und – wir lieben uns! Und diese Liebe können auch Zeit und Raum nicht trennen. Laß uns dankbar annehmen, was die Götter uns schenken, und sei es auch nicht für die Ewigkeit. Athama, ich liebe dich!“
„Ich liebe die schon lange, Rowin!“ flüsterte ich zwischen seinen Küssen. „Aber ich wollte es mir und besonders dir nicht eingestehen, da du mir nie das Gefühl gabst, daß dir etwas an mir als Frau läge.“
Rowin lachte leise. „Man könnte meinen, du seist ein unerfahrenes Mädchen“, sagte er. „Hast du denn nie gespürt, daß ich dich liebte und begehrte seit dem Morgen, an dem du in deinem hübschen blauen Kleid ins Zimmer tratst? Doch ich hielt mich zu-rück, denn ich dachte, du brauchtest Zeit zu vergessen und dich an die neue Situation zu gewöhnen. Erst heute wurde mir klar, daß du mir deswegen sogar böse warst. Aber jetzt werde ich dafür sorgen, daß du all deinen Kummer vergisst.“
Ich vergaß meinen Kummer in dieser Nacht sehr schnell in seinen Armen. Doch diese Nacht und alle, die ihr folgten, werde ich nie vergessen! Rowins heftige Leidenschaft war gepaart mit solcher Zärtlichkeit und so viel Feingefühl, daß er mich immer wie-der faszinierte. Schon am nächsten Tag zog ich ganz offiziell in seine Räume um, und niemanden schien das im Geringsten zu überraschen oder gar zu empören. Die Valaminen waren ein sinnenfrohes Volk, das sich keine beengenden Moralvorschriften auferlegte. Am wenigsten
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