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Das Treffen in Telgte

Das Treffen in Telgte

Titel: Das Treffen in Telgte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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sich des deutschen Madrigals anzunehmen, wie es vormals der selige Opitz versucht hätte. Dergleichen lockere und nicht strophige Verse dürften heiter, klagend, streitbar, sogar scherzhaft widersinnig und der Tollheit verschrieben sein, wenn sie nur Atem trüge, damit Raum bleibe für die Musik.
Diesen Raum finde er leider nicht in den gehörten dramatischen Szenen. So sehr er den schroffen Ernst der Sonette des Herrn Gryphius schätze, so heftig er die Klage des Autors gegen die Eitelkeit dieser Welt unterstütze, so viel bleibende Schönheit aus dem gerade Gelesenen spreche: Platz finde er, der Tonsetzer, nicht zwischen den vielen, zu vielen Wörtern. Da könne sich keine ruhige Geste entfalten. Niemandes Trauerlaut könne in solchem Gedränge verhallen oder sein Echo finden. Da werde zwar alles dicht bei dicht deutlich gesagt, doch die eine Deutlichkeit lösche die andere, so daß eine überfüllte Leere entstehe. Es bleibe alles, so heftig die Wörter stürmten, ganz unbewegt. Wollte er solch ein Schauspiel in Töne setzen, müßte er einen wahren Fliegenkrieg entfesseln. Ach und nochmal ach! Wie habe der Monteverdi es gut gehabt, daß ihm der Meister Rinuccini mit fügsamen Libretti zur Hand gewesen sei. Lob und Preis jedem Poeten, der es verstünde, ihm einen Text zu liefern, schön wie das Lamento der Arianna. Oder etwas gleich der bewegten Szene, die, nach den Worten des Tasso, als Kampf des Tankredi mit Clorinda aufregend zu Musik gekommen sei.
Doch so viel gewünscht, heiße zu viel verlangen. Er müsse sich bescheiden. Wo das Vaterland daniederliege, könne die Poeterei kaum in Blüte stehen.
Nicht etwa Schweigen, Unruhe antwortete dieser Rede. Gryphius saß wie verdonnert. Und mit ihm fühlte ich mich, waren viele getroffen. Daß ausnehmend der irrlichternde Scheffler und der verbuhlte Greflinger gefallen hatten, nahm besonders Gerhardt übel. Schon stand er: Er wolle die Gegenrede halten. Er sei um Antwort nicht verlegen. Er wisse, welche Musik dem Wort fromme. Er werde es dem Italienerfreund, dem Lobredner des Welschen, dem Herrn Henrico Sagittario zeigen. Und zwar auf deutsche Weise. Die künde frei raus…
Doch Gerhardt durfte noch nicht. Weder Rist noch Zesen, die beide auf Antwort drängten, wurde Erlaubnis erteilt. (Auch mir nicht, so fertig ich voller Rede war.) Simon Dach nahm ein Zeichen der Wirtin von der Tür her zum Anlaß und hob die Versammlung auf: Man möge, bevor man streite, friedlich die Suppe löffeln, die man sich eingebrockt habe.
Ob der Gelnhausen schon zurück sei, wollte, während die Herren von den Stühlen rückten, Harsdörffer wissen. Ihm fehle der Stoffel.
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    Schmackhaft und mager. Die Schwarte drin hatte schon gestern herhalten müssen. Eine Suppe, die nur kurz sättigte, aber lange erinnert sein wollte: Grütze mit Kerbel geschönt. Dazu knapp Schwarzbrot. Das füllte die Jungen nicht. Greflinger maulte. Hoffmannswaldau, den gestern die schmale Kost zum Lob des einfachen Lebens hingerissen hatte, meinte, man könne das Schlichte auch übertreiben. Dann schob er seine halbvolle Kumme dem jungen Birken zu. Gryphius rührte in seiner Suppe Gedanken auf, die den schlesischen Hunger zum Weltenhunger erhoben. Kurzgebunden spottete Logau über die zeitgenössische Kunst des Suppenverlängerns. Czepko schwieg überm Löffel. Andere (Moscherosch, Weckherlin) hatten sich enthalten oder waren (wie Buchner) mit dampfender Kumme in ihrer Kammer verschwunden. (Später trug Schneuber die Nachrede herum, er habe gesehen, wie eine der Mägde – Elsabe – dem Literaturmagister, mit Zukost im Tuch, nachgestiegen sei.)
    Schütz hingegen blieb am Tisch und löffelte, während ihn sein Vetter Albert mit Geschichten aus besseren Tagen unterhielt: beide hatten Mitte der dreißiger Jahre am Kopenhagener Hof König Christians Gunst genossen. Man hörte den Sagittario lachen.
    Als Harsdörffer, der diesmal das Tischgebet hatte sprechen dürfen, beiläufig meinte, eigentlich hätte die Kerbelsuppe, ohne viel Worte, bußfertig genug machen müssen, sagte Dach, es sei nun mal immer noch Krieg, doch wolle er gern mit dem Kaufmann Schlegel und einigen Buchdruckern durch Telgte laufen. Dort werde sich sicher Beißbares für den Abend kaufen lassen.
    Selbst Ratten fänden dort nichts, rief Lauremberg. Nur noch vereinzelt bewohnt sei die Stadt, wüst und vernagelt. Die Tore kaum besetzt. Nur Hunde streunten. In der Frühe schon wären Schneuber und er gegen blankes Geld um ein paar Hühner bemüht

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