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Das Treffen in Telgte

Das Treffen in Telgte

Titel: Das Treffen in Telgte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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elend. Einerseits hielt er die Rückkehr nach Weißenfels für wünschenswert, andererseits drängte es ihn, nach Hamburg und weiter nach Glückstadt zu reisen. Dort hoffte er Nachricht vom dänischen Hof, die Einladung nach Kopenhagen zu finden: Opern, Ballette, heitere Madrigale… Lauremberg hatte ihm Hoffnung gemacht: Der Thronfolger sei den Künsten gewogen. Jedenfalls trug er den zweiten Teil der »Sinphoniae sacrae« ausgedruckt bei sich: Der sei dem Fürsten gewidmet. Dann legte sich Schütz wieder, schloß aber nicht die Augen.
    Im Hof hörte man die Nachricht, daß der kursächsische Kapellmeister später für eine Weile kommen wolle, auf diese und jene Weise erleichtert: einmal, weil der weitberühmte Gast nicht aus Ärger fernblieb; zum anderen, weil der strenge Gast nicht sogleich der mittlerweile fidelen, hier und da lärmigen Festtafel beisitzen wollte. Wir waren noch gerne ein wenig nur unter uns.
    Greflinger und Schneuber hatten die drei Mägde der Wirtin an den Tisch gewinkt und – nach Gelnhausens Zuspruch – noch einige Telgter Dirnen dazugerufen. Die Magd Elsabe saß Moscherosch auf dem Schoß. Vermutlich der alte Weckherlin hatte dem frommen Gerhardt zwei übermäßig offenherzige Weiber an den Hals geschickt. Als sich die zierliche Magd, Marie gerufen, zutraulich und wie altbekannt an den Studenten Scheffler lehnte, saß der junge Mann bald spottübergossen. Besonders taten sich Lauremberg und Schneuber hervor: Ob die Marie ihm die heilige Jungfrau ersetze? Ob er vorhabe, durch solche Paarung katholisch zu werden? Und ähnliche Anzüglichkeiten, bis Greflinger den beiden bayrisch kam und seine Fäuste zeigte.
    Woanders war Rist, dessen Predigerhände bei einer der Stadtdirnen auf Suche waren, durch Logau verletzt worden. Dabei hatte der »Verkleinernde« dem »Rüstigen« nur sagen wollen, daß, bei so eifrigem Schatzheben, kaum eine Hand für den Weinkrug freibleibe. Darauf war Rist mit beiden Händen wieder gestisch und lautstark ausfällig geworden. Er nannte Logaus Witz ätzend, weil ohne gesunden Humor und weil nicht gesund humorig, nur ironisch, und weil ironisch nicht deutsch und weil nicht deutsch »von unteutscher Art«.
    So kam es zu neuem Disput, bei dem die Mägde und Dirnen wie abgetan waren. Einzig nach den Weinkrügen griff man durstig, als über das Wesen von Ironie und Humor gestritten wurde. Logau stand bald für sich allein, weil mit Rist nun auch Zesen seinen verkleinernden Blick auf Dinge, Menschen und Zustände als zersetzend, fremd- und nicht deutschstämmig, verwelscht, also ironisch nur abtat und wortwörtlich verteufelte; denn darin einig, nannten Rist und Zesen des immer hintersinnigen Logau zumeist doppelzeilige Kunststücke bloßes Teufelswerk. Warum? Weil die Ironie vom Teufel komme. Wieso vom Teufel? Weil sie welsch und deshalb des Teufels sei.
    Zwar versuchte Hoffmannswaldau diesen deutschen Streit zu beenden, doch war sein Humor wenig dazu geeignet. Den alten Weckherlin belustigte das heimatliche Getöse. Zwar kaum noch wortmächtig, doch vom Wein bestärkt, griff mit Höllengelächter Gryphius ein. Als Moscherosch ein Wort zugunsten von Logau wagte, fielen Bemerkungen über dessen gewiß nicht maurischen und – bei Gott! – nicht deutschstämmigen Namen. Lauremberg schrie das schlimme Wort aus dem Hinterhalt. Eine Faust schlug den Tisch. Wein schwappte über. Greflinger roch die nahende Prügelei. Schon erhob sich Dach, um dem Ausbruch der rohen Kraft sein bisher respektiertes »Schluß jetzt, Kinder!« entgegenzusetzen, da kam aus dem Dunkel Heinrich Schütz in Reisekleidung über den Hof und ernüchterte die Gesellschaft.
    Obgleich der Gast bat, sich nicht stören zu lassen, waren Humor und Ironie als Gegensatz sogleich wie fortgeblasen. Jeder hatte es nicht so gemeint. Die Mägde und Dirnen wichen zu den immer noch flammenden Spießfeuern aus. Buchner räumte den für Schütz vorgesehenen Sessel. Dach versicherte seine Freude über den spät, aber doch noch kommenden Gast. Die Wirtin Libuschka wollte ihm heiß von den Hammelkeulen auflegen. Gelnhausen goß ein. Doch Schütz aß und trank nicht. Stumm blickte er über den Tisch und dann zum Feuerplatz inmitten des Hofes, wo jetzt alle Musketiere und Reiter mit den Mägden und Stadtdirnen ihr Fest hatten. Ein mäßiger Pfeiffer war unter den Musketieren. Zwei, dann drei Paare sah man vor und hinter dem Feuer in wechselnder Beleuchtung tanzen.
    Nachdem Schütz eine Weile die Apollobronze und nur kurz die

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