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Das Treffen in Telgte

Das Treffen in Telgte

Titel: Das Treffen in Telgte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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kommen, sondern es gut sein lassen. Indem er hoffe, daß auf allem, was der Tisch überreich trage, Gottes Segen ruhe, bitte er die Freunde, dem nicht verwöhnten Gaumen Gutes zu tun. Es gebe das nun beginnende Fest sattsam Vorgeschmack auf den endlichen Frieden!
    Sie langten zu. Mit beiden Händen. Andächtig aufgestützt. Mit schlesischem, fränkischem, elbischem, märkischem, mit alemannischem Hunger. Desgleichen die Reiter, Musketiere, Hofköter, der Pferdeknecht, die Mägde und weiteren Weiber, die aus der Stadt bestellt waren. Sie gingen den Gänsen, Ferkeln, dem Hammel ans Gebein. Auch was den Hammel gefüllt hatte, Blut- und Leberwürste, war auf den Tisch gekommen und hälftig bei den Feuern geblieben. In den Saft, der aus spitzen, rund gestutzten, gezwirbelten Bärten tropfte und fettig in Tellern stand, tunkten sie frischgebackene Weißbrotstuten. Wie krustig die Haut der Spanferkel krachte. Es hatte das Wacholdergestrüpp, als Zwischenzunder, besonders dem Hammel Geschmack gegeben.
    Unruhig hin und her blieben allein die Wirtin und Gelnhausen. Weiter trugen sie auf: in Milch mit Rosinen gedämpfte Hirse, Schälchen voller kandiertem Ingwer, Essiggurken, Pflaumenmus, schwere Krüge voller rotem Wein, trockenen Ziegenkäse und endlich den in der Küche abgekochten Hammelkopf, dem die Libuschka eine rote Rübe quer ins Maul gezwängt, den sie mit weißem Rundkräglein nach Herrenart gekleidet und mit einem Kranz aus Sumpfdotterblumen zum bekränzten Schafskopf gemacht hatte. Wie sie ihn auftrug, wirkte die Courage königlich und gab noch Würde dem aufgetragenen Haupt ab.
    Das ließ Witze zu. Der Schafskopf wollte verglichen werden. Ihm wurde in Jamben und Trochäen, auf dreisilbigem Versfuß, mit Buchnerschen Daktylen, in Alexandrinern, Schüttel-, Stab-, Binnenreimen und flink aus dem Stegreif gehuldigt: Greflinger, indem er als gefoppter Hammel seine treulose Flora beklagte, die anderen mit politischen Anspielungen.
    »Nicht Leu, nicht Aar, weil er so brav, Deß Teutschen wappen ziert ein Schaf,« warf Logau hin. Moscherosch ließ des Deutschen Wappentier »nach hispanischen Manieren welscher Weise konversieren«. Und Gryphius, der in sich hineinfraß, als wollte er die Welt vertilgen, reimte, indem er für ein Weilchen von eines Ferkels Vorderlauf abließ: »Alle Schaf, die blökken frieden, werden ihn vom Metzger kriegen.«
    Der Literaturmagister Augustus Buchner nahm die schnell gefundenen Reime hin, überhörte auch Zesens »Hammel hammeln himmelwärts…« und bemerkte nur: Er sei froh, daß der strenge Schütz dererlei Kunststücke nicht anhören müsse… Worauf Dach überm Gänsebein, das er mit Pflaumenmus bestrichen hatte, erschrocken einhielt, der gleichfalls verschreckten Runde gewahr wurde und seinen Albert bat, in Eile nach dem Gast zu sehen.
    Ohne Überrock, auf dem Bett ruhend, fand der Domorganist den alten Mann in seiner Kammer. Sich knapp aufrichtend sagte Schütz: Es sei freundlich, daß man ihn vermisse, doch wolle er noch ein wenig ruhen. Die vielen neuen Eindrücke müßten bedacht werden. So die Erkenntnis, daß scharfer Klugsinn, wie der des Logau, keine Musik einlasse. Jaja. Er glaube gerne, daß man im Hof heiterer Stimmung sei. Es komme die Fröhlichkeit vielstimmig bis in seine Kammer und verlache Gedanken wie diesen: Wenn die Vernunft, wie er sie schätze, der Musik abträglich sei, also das Tonsetzen dem vernünftigen Wörtersetzen zuwider laufe, fragte er sich, wieso dem Logau, bei kühlem Kopf, dennoch Schönheit gelinge. Der Vetter Albert möge so viel Spitzfindigkeit gerne belächeln und ihn einen verhinderten Juristen heißen. Ach, wäre er doch, bevor ihn die Musik ganz und gar hätte einnehmen können, beim Studium der Rechtslehre geblieben. Noch heute sei ihm die Marburger Zeit als Schule des Scharfsinns von Nutzen. Gönne man ihm ein wenig Zeit, durchschaue er das feinste Lügengespinst. Es fehle nur noch der eine, der andere Fadenschlag. Denn jener hergelaufene Stoffel, der freilich lustiger spinne als etliche der angereisten Poeten, lüge sich eine Welt zusammen, die ihre eigene Logik habe. Was? Wie? Der Vetter Albert sei immer noch treuen Glaubens? Dann wolle er dessen Einfalt nicht stören. Doch doch, er komme noch auf ein Glas. Später oder bald. Niemand solle sich sorgen. Getrost könne der Vetter gehen und fröhlich sein.
    Nur kurz, als Albert schon in der Tür stand, gab Schütz einen Nachtrag seiner versammelten Sorgen. Er nannte seine Dresdener Umstände

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