Das Treffen
Dann drehte sie sich um die eigene Achse, um ihr Werk zu bewundern.
Das war ein Fehler.
Mit einem Mal wurde sie kreidebleich. Mit kreisenden Armbewegungen taumelte sie rückwärts. »Oh Gott«, lallte sie, als ihr Hinterteil auf den Boden krachte. Stöhnend klappte sie in sich zusammen. »Alles dreht sich.«
Helen kniete sich neben sie. »Ist dir …«
»Oh Goo …« Vivian drehte sich um, stützte sich auf Händen und Knien ab und übergab sich.
»Wie krass!«, rief Finley und griff nach ihrer Kamera.
Cora konnte sie gerade noch festhalten, bevor sie sie vom Tisch nehmen konnte. »Lass sie ihn Frieden.«
Als Vivian fertig war, krabbelte sie langsam von der Sauerei weg, die sie auf dem Teppich hinterlassen hatte.
Abilene klopfte ihr sanft auf den Rücken. »Alles in Ordnung?«
Vivian stöhnte auf.
»Wir sollten jetzt lieber abhauen.« Abilene und Helen halfen ihr auf die Füße. »Kannst du laufen?«
»Ja, ja. Allsokeh.«
»Dann los.«
Sie warteten noch auf Cora, die etwas auf einen Bogen Briefpapier schrieb, den sie aus Hardins Schreibtisch gezogen hatte.
Dann löschten sie das Licht im Büro und schlossen die Tür. Becher, leere Flaschen und Chipstüten ließen sie zurück, dazu einen Plastikbeutel voll schmelzendem Eis, zerfledderte Magazine, eine ansehnliche Fotogalerie nackter Männer und Frauen sowie einen Haufen Kotze.
Cora heftete die Nachricht, die sie geschrieben hatte, außen an Hardins Bürotür. Mithilfe ihrer Taschenlampe las Abilene: »NICHT BETRETEN. DAS GILT FÜR JEDEN, AUCH DIE GEBÄUDEREINIGER. ICH WERDE NICHT DULDEN, DASS MEIN HEILIGTUM ENTWEIHT WIRD.« Gezeichnet: Direktorin M. Hardin.
»Gib mal her«, sagte Cora.
Abilene reichte ihr die Taschenlampe. »Was hast du vor?«
»Wirst schon sehen.« Sie umrundete den Schreibtisch der Sekretärin, richtete den hellen Strahl auf die Adresskartei und durchstöberte die Pappkärtchen. »Da haben wir's ja.«
Sie hob den Hörer ab und tippte eine Nummer ein.
»Oh Gott«, murmelte Vivian.
»Das wagst du nicht«, keuchte Abilene.
Finley fing an zu lachen.
Helen stöhnte auf.
»Hallo?«, sprach Cora mit tiefer, heiserer Stimme in den Hörer. »Spielt keine Rolle, wer dran ist, du verklemmte Kuh. Ich gebe dir einen guten Rat: Hör auf, so viel Chili in dich reinzustopfen. Vergiss nicht: Je mehr du frisst, desto lauter musst du furzen. Gute Nacht wünsche ich.«
Sie waren gerade auf dem Weg die Treppe hinunter, als sie eine Tür schlagen hörten.
Abilene drehte sich der Magen um. Ihr Herz klopfte wie wild. Vivian klammerte sich an ihr fest. Sie spürte, wie sie zitterte.
Regungslos standen sie da.
Sie hörten Schritte und Männerstimmen, die sich laut auf Spanisch unterhielten.
Langsam verhallten die Geräusche.
Abilene atmete tief aus.
Vorsichtig schlich Cora die Treppe hinunter und spähte in den Flur. Die anderen warteten, bis sie ihnen ein Zeichen gab.
Sie hielt ihnen die Tür auf und schloss sie leise wieder.
Abilene sah sich ständig um, bis sie den Fußweg am Rand des Campus erreicht hatten. Niemand war zu sehen.
»Wir haben's getan«, sagte Finley.
Später sollten sie sich noch oft lachend an dieses Abenteuer erinnern. Aber zunächst machten sie sich große Sorgen. Abilene erwartete, dass Hardin von der gesamten Studentenschaft Fingerabdrücke nehmen würde. Aber nichts geschah.
Der Vorfall wurde mit keinem Wort erwähnt.
Erst dachten sie, dass die Putzfrauen trotz der Nachricht das Büro betreten hatten. Vielleicht konnten sie nicht lesen oder verstanden kein Englisch. Oder sie hatten die Notiz einfach nicht beachtet und waren ihrer Arbeit nachgegangen.
Aber am nächsten Tag sahen sie Hardin in der Cafeteria. Sie saß allein an einem Tisch, nippte an ihrem Kaffee und warf jedem misstrauische Blicke zu.
Finley filmte heimlich, wie sie ein lachendes Trio junger Männer beobachtete.
»Ich wette, sie denkt, dass es Jungs waren«, flüsterte Helen.
»Sie glaubt bestimmt, dass Mädchen zu so was gar nicht fähig sind«, sagte Cora.
»Wie sexistisch«, schalt Vivian.
Immer noch die jungen Männer fixierend, hob Hardin die Hand. Mit Daumen und Zeigefinger knetete sie ihre dünne Unterlippe.
Abilene grinste. »Möchte wissen, wann sie sich zum letzten Mal die Hände gewaschen hat.«
10
Abilene kam auf die Idee, den Jeep seitlich neben dem Haus zu parken. So war er vor neugierigen Blicken geschützt für den Fall, dass jemand die Einfahrt heraufkam – zum Beispiel die Polizei oder Teenager, die einen ruhigen
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