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Das Treffen

Das Treffen

Titel: Das Treffen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Laymon
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einzubrechen.
    Also waren sie übereingekommen, zumindest für die nächste Zeit auf unnötigen Trubel in ihrem Leben zu verzichten.
    Das war nur wenige Wochen bevor Andy Wilde den Fehler beging, sich mit Helen und ihrem Freund Maxwell Charron anzulegen.
    Maxwell war ein Dichter, ein großer, sanfter Mann, der auf die meisten Menschen einen eher femininen Eindruck machte – sein Spitzname lautete Sharon.
    Helen, die ihm öfter auf dem Campus begegnete, hielt ihn für schwul.
    Bis sie an einem wunderschönen Frühlingstag bemerkte, wie er sie dabei beobachtete, als sie ihr Mittagessen im Schatten einer Eiche verzehrte. Er saß im Schneidersitz auf der Wiese und hatte ein Notizbuch auf den Knien. Unverhohlen starrte er sie an, schrieb etwas auf und starrte sie wieder an.
    Eine ganze Weile lang registrierte er gar nicht, dass er seinerseits beäugt wurde. Doch dann klappte er verblüfft sein Notizbuch zu und wollte sich davonmachen.
    »Hey!« Helen rannte ihm hinterher.
    Er drehte sich zu ihr um, verzog das Gesicht und errötete über beide Ohren.
    »Was hast du da gemacht?«
    »Ich? Nichts.«
    »Hast du mich gezeichnet?«
    »Nein. Ehrlich nicht.«
    »Ist schon okay.«
    »Wirklich nicht.«
    »Darf ich mal sehen?«
    »Aber nein, ich hab nur …«
    »Bitte?«
    Mit einem langen Seufzer öffnete er das Notizbuch und reichte es ihr.
     
    Sie sitzt allein, so allein
    Wie ich Außenseiter
    In feierlicher Einsamkeit
    Wunderschöne
    Einsame Tulpe
    Im Gestrüpp
    Ungeliebt
    Ungepflückt
    Nur geküsst
    Von der sanften Brise
    Nur gestreichelt
    Von meinen Augen.
     
    »Hast du das gerade geschrieben?«, fragte Helen.
    Er zuckte die Achseln und nickte.
    »Handelt das von mir?«
    »Na ja … irgendwie schon. Du warst sozusagen meine Inspiration. Du hast so einsam gewirkt, wie du da gesessen hast.«
    »Es ist wunderschön«, sagte sie. »Darf ich es mir abschreiben?«
    »Ich schreibe es für dich ab.«
    »Wollen wir in die Cafeteria gehen? Auf eine Tasse Kaffee?«
    So fing es an. Noch in derselben Nacht erzählte sie Abilene und den anderen alles. Sie zeigte ihnen das Gedicht. Sie berichtete von ihrem Gespräch in der Cafeteria. Sie hatten beide ihre Kurse geschwänzt und waren stundenlang spazieren gegangen. Dann hatten sie in einem kleinen Lokal in der Stadt gegessen und sich danach Die hungrigen Toten im Kino angesehen, bevor sie noch durch den Park gestreift waren.
    »Er ist einfach wunderbar«, sagte sie. »Stell dir vor, er guckt sogar Horrorfilme. Ich glaube, er mag mich.«
    Sie traf sich jeden Tag mit ihm, und oft blieb sie bis spät in die Nacht aus. Abilene hatte sie noch nie so glücklich erlebt.
    Bis zu jener Nacht, in der sie blutverschmiert und weinend nach Hause gekommen war.
    Sie und Maxwell hatten im Delight einen Eisbecher gegessen und gingen zu Fuß nach Hause. Sie waren gerade dabei, eine Straße zu überqueren, als ein Porsche die rote Ampel überfuhr und an ihnen vorbeischoss. Er verfehlte sie nur um Haaresbreite. Maxwell trat gegen die Seite des Autos. »Arschloch«, rief er.
    Mit quietschenden Reifen kam der Wagen zum Stehen.
    »Au weia«, sagte Maxwell.
    »Hauen wir lieber ab!« Helen nahm Max bei der Hand und rannte auf die nächste Straßenecke zu.
    Sie traute sich nicht, sich umzusehen. Aber sie hörte, wie die Bremsen erneut quietschten und eine Autotür ins Schloss fiel. »Du bist tot«, ertönte eine Stimme, und schnelle Schritte hallten über den Asphalt.
    Die Straße, in die sie flüchteten, war leer und still. Die Geschäfte hatten schon lange geschlossen.
    »Hier rein«, keuchte Maxwell. Mit Helen an der Hand bog er in eine Seitengasse. Sie rannten mitten auf der Straße. Helen hielt das für eine gute Idee. Besser, sie blieben im Licht der Straßenlaternen, so hatte ihr Verfolger keine Gelegenheit, sie in eine dunkle Ecke zu zerren und ihnen etwas anzutun. Früher oder später würde ein Auto vorbeikommen, dessen Insassen sie um Hilfe bitten konnten.
    Aber die Straße blieb einsam und verlassen. Als ob jeder in der Stadt, ausgenommen Helen, Maxwell und der Mann, der sie verfolgte, entweder schlief oder tot war.
    Er holte auf.
    Helen bemerkte, dass Maxwell absichtlich langsam lief. Er blieb bei ihr, obwohl er ohne sie viel schneller hätte rennen können.
    »Lauf!«, keuchte sie. »Er ist hinter dir her.«
    »Stimmt.«
    Er blieb stehen und drehte sich um.
    »Max!«
    »Lauf!«, rief er ihr über die Schulter zu.
    Bevor sie noch eine Warnung ausstoßen konnte, hatte der Porschefahrer auch schon die

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