Das Turmzimmer
von Liljenholm (oder sollte ich besser Lily von Liljenholm schreiben?) und gab sie dem Telegrafenamt durch.
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Ich gebe zu, dass es unaufrichtig war, mich als Sekretärin von Hansen & Sohn auszugeben, doch andererseits hätte der Verlag durchaus eine Sekretärin wie mich gebrauchen können. Meine durchgreifende, aber liebevolle Hand hätte bald Ordnung in die Stapel gebracht, sodass die Buchdruckerei A. Rasmussen keine Mahnungen hätte verschicken müssen und keine Autoren und ihre Nächsten einfach verschwinden könnten, ohne dass jemandem das auffiel. Auf diese Weise konnte ich meine kleine Notlüge ohne weiteres rechtfertigen. Dafür ging es über meinen Verstand, dass es so lange dauern konnte, ein paar einfache Worte zu schreiben, doch das sollte noch früh genug zu meinem Alltag werden.
Manchmal mühe ich mich stundenlang mit denselben fünf Sätzen ab und fühle mich innerlich so leer wie ein Wollpullover. Nella hat mich aufgegeben, glaube ich. Sie schleicht sich nur zu den Mahlzeiten herein und stellt mir ein Tablett mit Essen auf den Schreibtisch, das ich die letzten Monate kaum angerührt habe. Die arme Nella. Sie hat alle möglichen Kartoffelgerichte und Pasteten und Gerichte mit Kohlrabi gemacht, den man im Augenblick offenbar billig auf Frydenlund kaufen kann, doch meine alte Remington mit ihren weißen Tasten war das Einzige, das ich wirklich geschätzt habe. Und ich habe noch mehr zu erzählen. Gewisse Details, die zu enthüllen es meiner Meinung nach an der Zeit ist, auch wenn ich mich in Wahrheit dagegen sträube.
Zum jetzigen Zeitpunkt haben Sie bestimmt schon erraten, dass ich Nella damals im September 1936 telegrafiert und das Telegramm mit »ein Freund« unterschrieben habe. Der Grund war der, wie Sie vielleicht auch schon erraten haben, dass ich in der folgenden Woche absolut nichts von Liljenholm gehört hatte. Daraus schloss ich, dass Antonia im Turmzimmer in Lebensgefahr sein könnte, und lassen Sie mich Ihnen schon so viel verraten, dass meine Einschätzung völlig richtig war. Die arme Antonia war wirklich in Lebensgefahr, und ich hätte die Polizei aufsuchen und sie in meine kleine Theorie einweihen können, nein, ich hätte sie vielleicht sogar einweihen müssen. Doch ich war mir auch ziemlich sicher, dass mir das nichts anderes als einen längeren Aufenthalt im Kittchen eingebracht hätte. Natürlich nicht aufgrund dieser Geschichte, sondern aufgrund einer langen Reihe anderer. Doch obwohl ich eher jemand war, den man einlochte, statt dass man ihm zuhörte, hätte ich zumindest Nella aufsuchen und ihr erzählen können, wie die Dinge lagen (oder vielleicht eher nicht lagen). Im Nachhinein wünsche ich mir auch zutiefst, das getan zu haben. Doch zu besagtem Zeitpunkt litt ich unter der Zwangsvorstellung, dass es allen wie mir gehen müsste, was derartige persönliche Informationen anging. Denn ich hätte es unter allen Umständen vorgezogen, die Wahrheit selbst herauszufinden, statt sie von einem Menschen serviert zu bekommen, dessen Namen ich nicht kannte und über den ich nichts wusste. Deshalb behandelte ich Nella, wie ich selbst gern behandelt worden wäre, und das kann man als christliche Handlung oder als Idiotie auf einer höheren Ebene bezeichnen. Wenn ich Nella zurück nach Liljenholm locken konnte, würde sie schnell verstehen, wie alles zusammenhing, dachte ich, und falls nicht, würde ich in der Nähe sein. Letzteres war nicht meine Idee, sondern die von Ambrosius, und jetzt komme ich zu den Details, die ich bislang für mich behalten habe.
Denn ich habe Ihnen weder von Ambrosius noch von unserem kleinen Nebengeschäft, von dem netten Lokal Silhouette, in dem wir uns gewöhnlich trafen, oder von dem Plan erzählt, den wir uns an dem Abend ausgedacht hatten, an dem Frau Hansen mich feuerte.
»Und wann willst du das tun?«, hat Nella mich erst vor Kurzem gefragt, als sie mit all den Seiten über Simon hereinkam, die sie inzwischen dreimal gelesen hatte. Sie sagt, dass sie ihren Vater mit jedem Mal besser kennenlernt. Doch jetzt klopfte sie mir nur leicht auf die Schulter.
»Die Leser werden glauben, dass du ein gutes christliches Mädchen bist«, sagte sie. »So oft wie du in die Kirche gehst. Das ist schon beeindruckend, muss ich sagen. Mehrmals die Woche. Wer hätte das gedacht?«
Ich wollte protestieren, doch ihre Hand klopfte jetzt
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