Das Turmzimmer
begutachtete die Ringe nur kurz, nickte anerkennend, sodass eine Locke in seine sommersprossige Stirn fiel, und gab ein Gebot ab, das ich mit Kusshand annahm.
»Wollen Sie die ganzen 85 Prozent leihen?«
»Ja, bitte.«
Ich würde die Ringe nie in den vorgeschriebenen drei Monaten auslösen können, sodass sie dort landen würden, wo alles, was ich mit der Zeit verpfändet hatte, landete: auf der Auktion. Wenn Frau Hansen ein wenig nachdachte, würde sie ihre Kronjuwelen dort wiederfinden. Der Schätzer nickte zu meiner alten Brosche hin.
»Eine schöne Arbeit.«
Er beugte sich leicht vor.
»Wollen Sie die auch verpfänden?«
Instinktiv führte ich die Hand zu meinem Revers und schüttelte gleichzeitig den Kopf. Er nickte mir zum Abschied zu.
»Ja, dann wünsche ich Ihnen einen schönen Abend … gnädige Frau«, sagte er. Jemand anderer hätte den Moment, den er zögerte, vielleicht nicht als Zeichen des Respekts aufgefasst, doch ich war so zufrieden, dass ich ihn nicht mit »Fräulein« korrigierte. Ich nickte nur zurück und stopfte die Geldscheine in meine Taschen. Es war ein merkwürdiges Gefühl, obwohl ich es von früher kannte. Ausgestopft mit Papier, das keinen Wert hatte, bevor es nicht weitergegeben oder gegen etwas anderes eingetauscht wurde.
Ambrosius hatte Tränen in den Augen, als ich ihm kurz darauf die Hälfte gab. Damals hatte er auf zu viele Pferde gesetzt, die alle nicht gewannen, wenn ich das einmal so sagen darf. Ich will nicht weiter ins Detail gehen, da er noch immer in derselben Branche tätig ist. Ich möchte nur erwähnen, dass es mir furchtbar schwerfällt, über ihn zu schreiben. Einen Freund zu vermissen kann sich anfühlen wie einen Teil von sich selbst zu verlieren, den man gewöhnlich mit dem anderen teilt. In Ambrosius’ und meinem Fall den Teil, den wir anderen nur selten zeigen. Deshalb sind wir füreinander etwas Besonderes, und das ist so, seit ich mich Mitte der zwanziger Jahre zum Tanztee ins Hotel d’Angleterre getraut habe. Hier ist mir zum ersten Mal bewusst geworden, dass es noch andere Damen wie mich gab und dass wir sogar einen Namen hatten. Man nannte uns die Damen mit den Stehkragen , und vielleicht nennt man uns heute noch immer so. Ich nehme Tratsch nur dann zur Kenntnis, wenn ich darin bestätigt werden will, dass ich mir ebenso gut eine Kugel in den Kopf jagen könnte. Doch damals, Mitte der zwanziger Jahre, stand ich also in der Tür des Teesalons des Hotel d’Angleterre und starrte all die anderen an. Ambrosius stand neben mir. Nun ja, zu diesem Zeitpunkt wusste ich noch nicht, dass er so hieß. Mir fiel nur auf, dass er eine Zigarette in einer Zigarettenspitze rauchte, die so lang war, dass der Rauch eigentlich darin verloren gehen musste, sein Anzug war gelb und aus einem glänzenden Stoff. Als er sah, dass mir der Schweiß herunterlief, drehte er sich um und sprach mich an.
»Darf ich Ihnen ein Glas Wasser anbieten?«, war das Erste, was er sagte, und das Erste, was ich antwortete, war »Ja, danke«. Er hatte schwarz geschminkte Augen und rot lackierte Nägel, und alleine aus diesem Grund hätten Nella und er eigentlich ganz ausgezeichnet miteinander auskommen müssen. Aber sie mag ihn nicht. Vor allem nicht seinen starrenden Blick. Ich habe längst gelernt, ihn als zärtlich zu verstehen, doch ich habe die Hoffnung aufgegeben, dass Nella das irgendwann auch einmal tun wird.
»Meine liebe Freundin! Sind die ganzen Scheine wirklich für mich?«
»Das weißt du doch, Marguerite.«
Wenn wir in der Silhouette waren, nannte ich Ambrosius immer Marguerite, denn hier wurden alle Männer zu Frauen, und Marguerite war eindeutig einer der schöneren Namen. Auch wenn ich die Schauspielerin Marguerite Viby und ihren provinziellen Charme eigentlich nicht sonderlich mochte. Um uns herum an den schön eingedeckten Tischen des Restaurants saßen ein kleiner, kompakter Schuhmachermeister, der den Namen Komtesse Tilde führte, ein Fabrikant, der sich Staatsrätin Tulle nannte, ein Porzellanmaler der Königlichen Porzellanmanufaktur, der immer nur Flora hieß, ein bekannter Schauspieler mit Namen Fiemor und natürlich Store Bolette, die sich gerade erhob, um etwas an der Bar zu holen. Sie bewegte sich im Takt der Melodie, die der Pianist spielte und die nach Jerome Kerns A Fine Romance klang und es möglicherweise auch war. Ambrosius folgte ihrer fülligen Gestalt mit den Augen, bis sie dort, wo das Lokal in der Mitte einen Knick hatte, verschwand.
»Erzähl mir,
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