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Das Turmzimmer

Das Turmzimmer

Titel: Das Turmzimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leonora Christina Skov
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warum du so besorgt aussiehst, Agnes«, sagte sie und steckte das Geld so schnell in ihr Hemd, dass ich nicht sicher war, richtig gesehen zu haben. Nicht ohne Grund wurde Marguerite des Öfteren gefragt, ob sie Zauberkünstlerin sei.
    »Du bist gefeuert worden, sagst du?«
    Sie schien in die Luft zu sprechen, in der Store Bolette gerade verschwunden war, doch ich wusste, dass sie alles hörte und im Kopf sortierte. Marguerite war genau die Richtige, wenn man nicht auf Glück, sondern auf Verstand aus war.
    »Du musst mir helfen«, sagte ich.
    Sie nickte, wie sie das in solchen Situationen gewöhnlich tat. »Es geht um Liljenholm, nehme ich an?«
    Sie betrachtete etwas hinter meinem Rücken, das sich als die dürre Autorin herausstellte, die oft mit ihrer französischen Freundin Violette in die Silhouette kam. Im Spiegel rechts sah ich, dass Violette den gleichen schnurgeraden Pagenschnitt trug wie die Stummfilmschauspielerin Louise Brooks. Jetzt zog die Schönheit mit einer gewollt langsamen Bewegung ihren Mantel aus und reichte ihn der Garderobiere Elsa.
    »Fräulein von Dürre ist mit ihrer Pandora hier.«
    »Ja, ich sehe es.«
    Violettes Haar glich einem Fächer, der sich öffnete, als sie den Kopf zu mir hindrehte und lächelte. Zu meinem großen Verdruss waren wir nie weiter als bis zu dieser einleitenden Übung gekommen. Ich musste auf die Tischdecke hinuntersehen, um mich zu sammeln, und anschließend erzählte ich Marguerite alles, was ich mir am vergangenen Abend gedacht, und alles, was ich mir heute Vormittag ausgerechnet hatte.
    Das Schlimmste daran, solche Theorien laut zu äußern, ist, dass man dabei selbst anfängt zu zweifeln. Mir erging es jedenfalls so. Alles, was einem um zwei Uhr nachts völlig plausibel erscheint, sieht um fünf Uhr nachmittags bei einer Karaffe Wasser plötzlich ganz unwahrscheinlich aus, und je mehr ich redete, desto mehr kam ich ins Stocken und beendete meine Theorie schließlich mit der Vermutung, dass von einem kaltblütigen Mord an Lily nicht die Rede sein konnte, selbst wenn Antonia von ihrer Beseitigung schrieb … weil … Simon nicht so war, oder? Und dann war da all das mit Lily und den Gespenstern in Anführungszeichen und mit Lauritsen, die Lily durchgestrichen und mit Antonia überschrieben hatte.
    »Aber sie sahen einander doch auch ähnlich? Waren sie nicht Zwillinge?«
    »Eh, ja, doch Antonia klang nicht die Spur liebevoll in ihrem Brief an Simon. Sie war natürlich auch gerade von ihm geschieden worden und … nun ja, langer Rede kurzer Sinn: Lilys Beseitigung kann genauso gut bedeuten, dass sie eingesperrt wurde. Du scheinst Zweifel zu haben? Aber hör zu: Lauritsen hat von dem Turmzimmer und den lärmenden Gespenstern gefaselt, und ich habe mir gedacht, dass es auch Lily sein könnte, die dort oben jammert und stöhnt. Dann habe ich das Ganze zusammengesetzt, und alles ergab noch sehr viel mehr Sinn, wenn in Wirklichkeit Antonia dort oben in dem Turmzimmer eingesperrt war und Lily ihre Identität als Erfolgsautorin angenommen hatte. Wenn Antonia wirklich verrückt geworden war, habe ich gedacht, war es wohl in aller Interesse, dass niemand das herausfand.«
    »Das klingt ein wenig nach einem Roman, den ich einmal gelesen habe.«
    »Nach einem Roman?«
    »Ja, Jane Eyre glaube ich, hieß er. Hast du denn irgendeinen Beweis dafür, dass diese Antonia verrückt geworden ist?«
    »Nein … nein, das habe ich nicht, aber ich begreife nicht, warum Simon sich sonst darauf hätte einlassen sollen, sie aus dem Weg zu räumen. Für ihn stand auch finanziell viel auf dem Spiel; Antonia von Liljenholms Gesamtwerk, das er herausgibt und … ja, ich weiß, dass meine Theorie auf wackligen Beinen steht! Aber ich glaube, dass Antonia in Lebensgefahr ist, Marguerite. Im Turmzimmer, verstehst du? Es mag wohl sein, dass mir das gleichgültig sein kann, aber das ist es einfach nicht, wenn vielleicht ein Menschenleben auf dem Spiel steht. Ich fürchte, dass Lily ernsthaft krank ist, vielleicht sogar todkrank, da sie das Manuskript ihres neuen Romans nicht rechtzeitig abgeliefert hat, was noch nie vorgekommen ist und …«
    »Aber dafür kann es doch viele Gründe geben?«
    Ich versuchte, einen passenden Einwand zu finden, fand jedoch keinen. Meine liebe Freundin Marguerite hatte recht. Es konnte unglaublich viele Gründe dafür geben, warum Antonia von Liljenholm ihr Manuskript nicht rechtzeitig abgeliefert hatte, und es konnte auch genauso viele Gründe dafür geben, warum Antonia

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