Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Turmzimmer

Das Turmzimmer

Titel: Das Turmzimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leonora Christina Skov
Vom Netzwerk:
hältst du davon?«
    Sie schwang die Beine über die Armlehne und machte es sich im Sessel bequem.
    »Ich habe mir schon gedacht, dass du daran denkst«, sagte sie, und ich war mir nicht sicher, ob das Lob oder Tadel sein sollte. Sie lächelte mich schief an.
    »Und was ist mit deinem Teil an der Geschichte? Willst du den nicht aufschreiben?«
    Sie betrachtete nachdenklich einen Stapel farbenfroher Taschenbücher, die ich auf dem Boden zusammengeräumt hatte, und ich spürte nur allzu deutlich, dass ich rot wurde.
    »Meinen Teil an der Geschichte? Wie meinst du das?«
    Man kann viel über Taschenbücher sagen, doch als geschmackvoll kann man sie wohl nur bezeichnen, wenn man auch nicht den leisesten Ansatz von Geschmack hat. Auf den Rückseiten stehen Sensationstexte, die nichts mit dem Inhalt zu tun haben und die Titelseiten sind noch schlimmer. Frauen in einem Hauch von Nichts und Männer, denen der alte Filmheld Rudolph Valentino Modell gestanden hat. Ich will nicht weiter darüber nachdenken, was es über mich aussagt, dass mich jedes einzelne davon begeistert. Und schon gar nicht jetzt, wo Nella mich mit ihrem strahlendsten Lächeln ansah.
    »Nun, man kann schließlich nicht sagen, dass du für die Geschichte unwesentlich bist«, sagte sie. Ich versuchte, nicht weiter darauf einzugehen.
    »Hör auf! Ich bin doch nur eine Nebenfigur, der zufällig das Wort erteilt worden ist!«
    Doch das glaubte ich nicht einmal selbst, das kann ich hoffentlich schreiben, ohne mich selbst zu rühmen. Denn natürlich bin ich für den Fortgang dieser Geschichte wichtig. Außerordentlich wichtig sogar. Das war wohl auch einer der Gründe, warum Nella mich und nicht irgendeine Sekretärin gebeten hat, sie aufzuschreiben. Doch warum gerade ich wichtig bin, kann ich im Moment noch nicht verraten. Nella nickte verständnisvoll, als ich das sagte. Ihr Blick war auf Antonias schmales Bett gerichtet.
    »Kannst du uns nicht eben etwas Wein holen?«, fragte sie, als hätte das Wort »eben« auch nur das Mindeste in einem Satz zu suchen, in dem es darum ging, in den Keller von Liljenholm hinunterzusteigen. »Und versuch die uralten Flaschen zu meiden«, fügte sie hinzu. »Dann werde ich auch versuchen, dir alles in der richtigen Reihenfolge zu erzählen.«
    Zu meiner Verwunderung begann Nella, mir eine ganz andere Geschichte zu erzählen als die von Antonias Sterbebett, und sie ist mir seitdem nicht mehr aus dem Kopf gegangen. Wo genau sie in der umfangreichen Geschichte von Liljenholm ihren Platz hat, ist unklar, deshalb füge ich sie an dieser Stelle ein und hoffe, dass sie auf ihre ganz eigene Weise hineinpasst.
    Nella begann, nachdem sie ein paar Gläser Wein geleert und eine geraume Zeit in die Luft gestarrt hatte.
    »Ich war eigentlich ein braves Kind, doch eines Abends hatte ich einfach genug von Mutters und Laurits’ Gerede von en Turmzimmern und davon, wie gefährlich es für mich sei, dort hinaufzugehen.«
    Sie schenkte uns beiden Wein nach, obwohl nur ihr Glas leer war, und strich mehrere Male über den geblümten Stoff des Sessels.
    »Du solltest vielleicht wissen, dass ich als kleines Kind Schlafwandlerin war, doch zu der Zeit eigentlich nicht mehr. Es war mehrere Jahre her, dass ich das letzte Mal mit offenen Augen unten in der Küche gestanden hatte, ohne zu wissen, wo ich war, und außerdem fühlte es sich diesmal ganz anders an. Sehr viel realer.«
    »Wie meinst du das?«
    Sie leerte ihr Glas und schenkte sich erneut ein.
    »Ich kann mich an alles erinnern«, sagte sie. »Es war stürmisch an dem Abend, was es erschwerte zu sagen, woher die Laute kamen. Das weißt du ja auch.«
    Sie hat recht. Ich habe längst bemerkt, dass Liljenholm bei Sturm auf eine besondere Weise klingt, als würden die knarrenden Laute wie zufällig von Raum zu Raum springen. Kennt man das Haus nicht gut, ist es fast unmöglich zu hören, wo sie anfangen und wo sie enden. Nella atmete tief durch.
    »Ich habe lange Zeit geglaubt, dass Liljenholm einfach sein generelles Unbehagen über das Wetter ausdrückte, doch diesmal hörte ich ein leises, inständiges Klagen, und im nächsten Augenblick vernahm ich Laurits’ Schritte auf der Treppe. Sie gingen den Gang entlang und an meiner Tür vorbei. An Laurits’ Schritten erkannte man allmählich, dass sie alt wurde. Sie ging immer langsamer, und an diesem Abend blieb sie mehrere Male auf der Treppe zum östlichen Turm hinauf stehen. Bestimmt war sie auch müde, die Arme. Mutter hatte sie den ganzen Tag

Weitere Kostenlose Bücher