Das Turmzimmer
zuckte mit den Schultern.
»Du kennst Agathe Couture, nicht ich«, antwortete sie. »Ich hatte noch nie von der Marke gehört, bevor du sie erwähnt hast, deshalb habe ich keine Ahnung, wo man diese Kleider damals … das Kleid muss von 1920 sein oder so … kaufen konnte.«
Ich rechnete an den Fingern nach.
» Rebecca of Sunnybrook Farm ist 1917 gedreht worden.«
Nella drehte sich erneut.
»Wer in aller Welt hätte gedacht, dass du so viel über Stummfilme weißt?«
Ich wollte ihr sagen, dass sie jetzt ernst bleiben müsse. Dass das eine ernste Sache war, denn theoretisch gesehen konnte alles durchaus ein Zufall sein. Das bewiesen schließlich die Mäuse unter den Bodenbrettern und meine Anstellung im Vodroffsvej. Doch Agathe Couture auf Südseeland war vielleicht ein Zufall zuviel.
»Mir kommt es am wahrscheinlichsten vor, dass es ein Zufall ist und Lillemors Kleider nun einmal einfach in Kopenhagen und Umgebung verkauft wurden.«
Nella hatte aufgehört sich zu drehen. Ihre Arme hingen schlapp an den Seiten herunter.
»Ja, das denke ich auch«, sagte sie und zog langsam die Brauen in die Höhe.
»Vielleicht sollten wir deiner Lillemor irgendwann einen kleinen Besuch abstatten? Was meinst du?«
Ich öffnete den Mund und schloss ihn wieder. Lillemor und Liljenholm war in sich selbst schon ein unmöglicher Gedanke, doch Lillemor und Nella war noch schlimmer. Die beiden. In einem Zimmer.
»Nur um sicherzugehen«, hörte ich Nella sagen. »Und natürlich erst, wenn du damit fertig bist, das zu schreiben, was du schreiben willst. Wir wollen doch nicht, dass Lillemor Informationen hat, von denen wir nichts wissen, oder? Ich glaube nicht, dass das auf lange Sicht der Geschichte dienlich ist.« Sie sah mich forschend an. »Du kannst ja mal darüber nachdenken, ja?«
Ich nickte, doch ich hatte bereits darüber nachgedacht. Ungeachtet, ob Lillemors Kleider auf dem Speicher von Liljenholm ein Zufall waren oder nicht, sah ich keinen Grund, dass Lillemor und Nella sich trafen. Schon gar nicht, als Nella mit ihrem nächsten Vorschlag kam. Oder dem übernächsten. Auf den nächsten komme ich gleich zu sprechen.
»Ich sollte wohl eins von Lillemors Kleidern anziehen, wenn wir uns treffen, meinst du nicht?«, lächelte sie. Selbst ihr Make-up erinnerte an das von Mary Pickford, stellte ich fest. Vor allem die schwarz umrandeten Augen. Sie wurden ganz schmal, wenn sie lachte.
»Nun guck nicht so schockiert! Deine Lillemor wird sich doch nur geschmeichelt fühlen, wenn sie mich in einem ihrer Kleider sieht! Das ist doch das Beste, wenn jemand die eigenen Kreationen schätzt. Genau wie damals, als ich in meiner Kindheit kleine Lieder komponiert und auf dem Klavier gespielt habe, die dann anschließend jemand über meinem Kopf leise gesummt hat.«
»Das hast du mir nie erzählt!«
Sie sah mich lange an. Ihr Make-up ließ das Weiße in ihren Augen deutlicher hervortreten. Deshalb hatte ich auch sofort gesehen, dass sie geweint hatte.
»Nein«, sagte sie, »das habe ich nicht, und das bringt mich auf etwas anderes. Etwas, das mit deinen letzten Kapiteln zu tun hat. Warte kurz.«
Sie war aus dem Arbeitszimmer, bevor ich sie weiter ausfragen konnte. Als sie zurückkam, brachte sie einen unordentlichen Stapel Papiere mit.
»Bitte.«
Der Stapel füllte die Hälfte meines Schreibtisches aus, und aus alter Gewohnheit begann ich sofort, ihn zu sortieren. Es wäre ein Albtraum für mich, wenn er mit meinem Manuskript durcheinandergeraten würde. Nella stand direkt hinter mir.
»Ich glaube nicht, dass du dir die Mühe machen musst, die Stapel auseinanderzuhalten«, sagte sie. Ihre Hände ruhten auf meinen Schultern. »Als ich gestern in dem Manuskript gelesen habe, kam mir der Gedanke, dass Laurits’ Anteil an der Geschichte natürlich irgendwie in dein Manuskript integriert werden muss. Ich weiß nur noch nicht genau, was mir da vorschwebt.«
»Ein selbstständiger zweiter Band vielleicht?«
Sie griff fester zu.
»Ich habe darüber nachgedacht«, sagte sie, »es wird keinen selbstständigen zweiten Band geben. Wenn du meine Zusammenfassung von Laurits’ Tagebüchern verwenden willst, kannst du das gerne tun. Es wird auch sehr viel leichter für dich sein, wenn du mir oder Laurits das Wort überlässt, wenn du so weit gekommen bist.«
Als ich mich zu ihr umdrehte, legte sich eine Wolke über ihr Gesicht.
»Ich hatte doch keine Ahnung, wie deine Kindheit war«, sagte sie, »und wenn ich ehrlich sein soll, ahnte ich
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