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Das Turmzimmer

Das Turmzimmer

Titel: Das Turmzimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leonora Christina Skov
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Hansen! Sie erwarten doch wohl nicht, dass ich Ihren Mann zum Reden bringe?«
    Mitten in meiner Frage öffnete sie die Tür.
    »Sie sollen nur aufschreiben, was mein Mann Ihnen erzählt, das ist alles«, sagte sie, und ein leichtes Zucken ging über ihr Gesicht. »Wenn das Gehirn nicht gebraucht wird, stellt es seinen Dienst doch ganz ein, nicht wahr?«
    Sie trat zur Seite, sodass ich an ihr vorbeikam. Ich versuchte, in ihrem Gesicht zu lesen. Ob sie selbst daran glaubte, dass vier Stunden Erinnerungsübungen täglich Herrn Hansen sein Gedächtnis zurückbringen konnten?
    »Wer ist diese Lily, mit der Ihr Mann mich verwechselt?«, fragte ich stattdessen. Frau Hansens Augenbrauen schienen fast für sie zu antworten. Die eine glitt langsam nach oben.
    »Sie war die Zwillingsschwester von Antonia, der ersten Frau meines Mannes, wurde aber ein paar Minuten später geboren.«
    Sie betonte das war , und ich musste sehr verwundert ausgesehen haben, da sie fortfuhr.
    »In diesen Kreisen erbt die Erstgeborene den Titel und die Schlüssel zu Speisekammer, Truhen und Türen. Falls es Ihnen ein Trost ist«, fuhr sie fort, »Sie sind nicht die Erste, die er mit diesem Namen anspricht. Und im Übrigen, Fräulein Kruse …«
    Sie nickte zur Klingel hin.
    »Würden Sie es wohl bitte unterlassen, kleine Melodien zu klingeln, wenn Sie morgen kommen? Wir werden das zu schätzen wissen und die Nachbarn auch, da bin ich mir sicher.«
    »Natürlich.«
    »Danke. Und könnten Sie wohl bitte auch Ihre Schuhe an der Tür ausziehen?«
    Sie nickte mir zum Abschied kühl zu.
    In meinem Kopf schwirrten die Gedanken, als ich auf dem Heimweg war, die Richtung änderte und Kurs auf die Kirche nahm. Was mochten das wohl für Geheimnisse sein, die Herr Hansen seiner Frau nicht anvertrauen wollte? Und was mochten das für Geheimnisse sein, die sie mir nicht verraten wollte? Ich würde mir jedenfalls meinen Teil denken, wenn mein Mann andere Frauen Lily nennen würde, selbst wenn diese Lily schon lange tot und mein Mann ziemlich senil wäre. Aber ich war nun einmal genau genommen nicht Frau Hansen. Es fiel mir erstaunlich schwer, aus dieser Frau schlau zu werden, und ich hatte so ein Gefühl, das mich nicht mehr losließ. Ich legte den Kopf in den Nacken und sah in die Baumkronen. Wenn ich mich nicht sehr irrte, waren Frau Hansen und ich gleichermaßen neugierig zu erfahren, was Herr Hansen ihr in all den Jahren verschwiegen hatte. Ich blinzelte. Ein Sonnenstrahl bahnte sich den Weg durch die Blätter und weiter in meine weit geöffneten Augen.

Ein Verdacht erhärtet sich
    Ich sollte recht behalten. Frau Hansen war ganz entschieden neugierig. Doch ich hatte große Probleme damit vorherzusehen, wie diese Neugierde sich äußern würde. Die ersten Wochen war ihre Taktik offensichtlich. Herr Hansen und ich saßen einander gewöhnlich in den komfortablen Samtsesseln seines in Mahagoni eingerichteten Eckzimmers gegenüber, die zu wesentlich tiefschürfenderen Gesprächen einluden, als er sie zu führen im Stande war ( Bis wohin bin ich gekommen …? Wer sind Sie, haben Sie gesagt? ). Frau Hansen kam regelmäßig mit Kaffee und Tee und Sherry und Appetithäppchen und Schokolade und Gott sei Dank nur selten mit dem gelben Kuchen, der offenbar selbstgebacken war. Sie musste sich auf ihren hohen Absätzen anschleichen, denn ich hörte nie, dass sie kam, bis sie die Tür aufmachte und die Erfrischungen auf den dreibeinigen Tisch zwischen uns stellte.
    »Hier habt ihr etwas für den süßen Zahn«, pflegte sie zu sagen. »Oder braucht ihr vielleicht etwas zu trinken?«
    Doch als die Tage vergingen, sah sie wohl ein, dass Herrn Hansens Geheimnisse nicht so einfach aus ihm heraussprudelten, um es einmal milde auszudrücken. Allmählich sahen wir immer weniger von ihr. Das bedeutete jedoch nicht, dass sie verschwand, ganz im Gegenteil. Es bedeutete vielmehr, dass sie noch präsenter wurde. Lagen meine Notizen nicht ein ganz klein wenig anders, als ich sie am Vortag hinterlassen hatte? War es nicht auffallend still vor Herrn Hansens Tür? Manchmal hatte ich Lust, aufzustehen und die Tür aufzureißen, alle Türen in seiner Schrankwand zu öffnen und mich zu versichern, dass Frau Hansen sich nicht, das Ohr an der Tür, darin zusammengerollt hatte. Doch andererseits würde sie davon nicht im Mindesten klüger werden, dachte ich, und das tröstete mich. Falls Herr Hansen ein Geheimnis hatte, war es in schwarzen Löchern versunken und ließ sich nur versuchsweise

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