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Das Turmzimmer

Das Turmzimmer

Titel: Das Turmzimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leonora Christina Skov
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danke. Es ist gut so.«
    »Sagen Sie ruhig Bescheid.«
    Sie goss sich Sherry nach, und ich wartete, dass sie ausgetrunken hatte, bis ich das Wort ergriff.
    »Ich sehe mich gezwungen, Ihnen zu sagen, Frau Hansen, dass ich ein rechtschaffener Mensch bin. Nur um das klarzustellen.«
    Der Blick, mit dem sie mich jetzt bedachte, war ängstlich. Wahrscheinlich kannte ich das Gefühl sehr viel besser, als sie es je kennenlernen würde.
    »Ja, aber natürlich sind Sie das.«
    Sie hustete mit der Hand vor dem Mund. Ihre Nägel waren genauso gepflegt wie Lillemors, nur kürzer. Für diese Frau war es sichtbar wichtig, schnell zupacken zu können.
    »Nicht dass wir uns missverstehen«, sagte sie. »Sie können ganz beruhigt sein, an der Aufgabe ist nichts Anrüchiges. So habe ich das absolut nicht gemeint.«
    »Das freut mich.«
    Doch ich war nicht im Geringsten erfreut. Ganz im Gegenteil hatte ich das traurige Gefühl, das alles schon einmal erlebt zu haben. Mein Gott, wie oft hatte ich mich schon sagen hören, dass absolute Diskretion eine Selbstverständlichkeit sei und dass es Ehrensache für mich war, niemanden zu verurteilen.
    »Ich kann Ihnen eine fehlerfreie Abschrift bieten, nicht mehr und nicht weniger«, hörte ich mich sagen. »Sie können ganz beruhigt sein. Es gibt keine Geschichte, die ich nicht schon gehört habe, das versichere ich Ihnen. Ihre Erinnerungen sind in absolut sicheren Händen.«
    Ich wollte noch mehr zu dem hervorragenden Service sagen, den ich anzubieten hatte, wurde jedoch von dem Aufgehen einer Tür und einem Mann, der eintrat, unterbrochen.
    »Karen?«
    Seine weißen Haare standen in alle Richtungen ab, und ich nahm an, dass er in den letzten Monaten viel Zeit auf dem Balkon verbracht hatte. Seine Haut zeigte jedenfalls eine gleichmäßige goldbraune Farbe, die gut zu seinem gestreiften Hemd passte. Seine Haltung war aufrecht. Er hatte etwas an sich, das ihn sowohl jünger als auch älter erscheinen ließ, als ich angenommen hatte. Die roten Flecken auf Frau Hansens Wangen waren zurückgekehrt. Sie minderten ihre Ähnlichkeit mit einer Leiche beträchtlich.
    »Komm und begrüß Fräulein Kruse«, sagte sie und wollte ihn näher heranwinken, doch er war bereits bei meinem Stuhl. Sein Gang hatte eine seltsame Autorität.
    »Ja, aber ist das nicht Fräulein Lily?«
    Seine tiefe Stimme verströmte die Art von Autorität, die mich augenblicklich aufstehen ließ. Frau Hansen räusperte sich mehrmals.
    »Nein, sie heißt Agnes, mein Lieber. Das war doch Ihr Name, nicht wahr? Agnes Kruse?«
    Ich nickte. Das Auffallendste an seiner Erscheinung waren seine Augen. Sie waren grün und musterten mich vom Scheitel bis zur Sohle, wie andere eine Landkarte studieren. Zu meiner Verwunderung weckte sein Blick jedoch eher meine Neugierde als mein Unbehagen. Er nickte.
    »Agnes?«
    Ich nickte zurück und empfand eine beträchtliche Erleichterung, als er die Hand, die ich ihm entgegenstreckte, ergriff und lange schüttelte.
    »Es waren nur Ihre Augen«, sagte er. »Aber Sie sind nicht Lily, nicht in dem Aufzug, ich musste nur daran denken …«
    Zweifellos hatte er seine weißen Zähne einem Gebiss zu verdanken, was sein Lächeln aber nicht weniger charmant erscheinen ließ. Seine Augen wurden so schmal, dass das Grün fast in den Wimpern verschwand.
    »Aber was haben Sie mit Ihren Haaren gemacht, Fräulein Agnes? Sie sehen aus wie … wie heißt das doch gleich?«
    Seine Augen wanderten aus dem Fenster, als hielten die Vögel draußen auf der Meisenkugel die Antwort für ihn bereit. Meine Hände fuhren instinktiv durch mein Haar. Vor Kurzem war es zu etwas gebändigt worden, das Ähnlichkeit mit einem moderaten Wellengang hatte.
    »Einem Heuhaufen?«, schlug ich vor. Frau Hansen stand direkt hinter ihm. Etwas an der Art, wie sie nach seiner Schulter griff, rührte mich zutiefst. An ihrer allzu dünnen Hand, die ihn leicht streichelte.
    »So etwas fragt man doch nicht, mein Lieber«, sagte sie leise. Seine Brauen trafen sich in der Mitte. Sie wirkten wie eine weiße Hecke über den Augen, eine traurige Hecke. Ganz plötzlich sah er unwahrscheinlich unglücklich aus.
    »Nein … nein, entschuldigen Sie.«
    »Sie müssen sich überhaupt nicht entschuldigen. Das müssen Sie wirklich nicht«, beeilte ich mich zu sagen, und ich hatte, nur für einen Augenblick, das Gefühl, dass Frau Hansen mich dankbar ansah. Vorsichtig strich sie ihm das Haar glatt.
    »Ja, das also ist mein Mann, Herr Hansen«, sagte sie an einen

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