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Das Turmzimmer

Das Turmzimmer

Titel: Das Turmzimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leonora Christina Skov
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ein Buch, und dann werden wir sehen. Lady Nellas geschlossene Augen . Das haben Sie herausgegeben, erinnern Sie sich?«
    »Nella?«
    »Ja, Lady Nellas geschlossene Augen . Ich denke, ich fange von vorne an, ja?«
    Sein grüner Blick war sehr dunkel geworden, bedeckt nahezu, doch zumindest nickte er. Das nahm ich als gutes Zeichen. Als ich das Buch aufschlug, bot sich mir der gleiche Anblick, der sich bald meiner Nella auf Liljenholm bieten sollte: Meinem Simon, der Liebe meines Lebens stand auf der ersten Seite, gefolgt von einem großen Porträt von Antonia von Liljenholm, deren eine Gesichtshälfte im Schatten lag. Ich versuchte, es Herrn Hansen zu zeigen, mehrmals sogar, doch er starrte es nur an und fragte mich, wer ich sei. Deshalb begann ich stattdessen laut vorzulesen.
    Anfangs war ich alles andere als beeindruckt, das gebe ich gerne zu. Ich war zwar, wie gesagt, keine große Literaturkennerin, doch auf mich wirkte das, was ich las, als hätte Antonia von Liljenholm eine dicke Gardine aus Landschaftsbeschreibungen und Wasserbeschreibungen und Kleiderbeschreibungen und Gespensterbeschreibungen über ihre Geschichte gezogen. Lange Zeit stieß ich auf nichts anderes als Wasser, das lief und tropfte und überschwemmte. Gar nicht erst zu reden von den Gespenstern. Was sie überhaupt in der Geschichte zu suchen hatten, war mir nicht klar, doch nach und nach … Ja, ich weiß gar nicht, wie ich das erklären soll. Plötzlich hatte ich das Gefühl, etwas wiederzuerkennen, und mit jeder Seite, die ich umblätterte, lasen meine Augen schneller.
    Was mich gefangen nahm, war nicht die Geschichte von dem jungen Fräulein, das mit dem alten Gutsbesitzer verheiratet wurde, nur um dann mit seinem ritterlichen Sohn durchzubrennen. Es waren auch nicht die Schauerelemente mit den klappernden Türen und dem Heulen, das vom Speicher kam, die mich bestimmte Passagen noch einmal lesen und anstarren ließen, als wollte die Wahrheit durch die Worte dringen. Was mich an Lady Nellas geschlossene Augen fesselte, waren Antonia von Liljenholms ellenlange Beschreibungen des ritterlichen Geliebten. Ein Verdacht begann leise in mir zu keimen. Ein Verdacht nahm gewissermaßen Form an.
    »Müssen Sie nicht nach Hause, Fräulein Kruse?«
    Es knackte in meinem Nacken, als ich den Kopf ruckartig drehte und Frau Hansen in der Tür stehen sah. Sie hatte die Arme überkreuzt.
    »Sie haben seit zwei Stunden frei, falls Sie das vergessen haben sollten.«
    »Habe ich das?«
    Ihre Finger trommelten auf ihren Arm, und ihre rote Bluse sah nicht länger frischgebügelt aus. Ganz im Gegenteil. Man hätte fast glauben können, dass sie darin geschlafen hatte.
    »Sonst lassen Sie sich doch auch nicht gerade Zeit damit, aus der Tür zu kommen«, sagte sie. Ich versuchte ihr zu erklären, dass ich beschäftigt gewesen sei. Aber sie sah mich nur lange an.
    »Womit beschäftigt, wenn ich fragen darf?«
    Ich blickte mich verwirrt im Arbeitszimmer um. Herr Hansen machte den Eindruck, als würde er schon seit einiger Zeit schlafen. Er schnarchte leise, während seine Lider zuckten. Frau Hansen winkte mich in die Diele hinaus. Ich zweifelte nicht daran, dass sie mir augenblicklich kündigen würde. Ich sah Herrn Hansen ein letztes Mal an und wollte mich gerade erheben, als er plötzlich die Augen aufschlug. Genau in diesem Moment spürte ich ein weiteres Band zwischen uns. Aus alter Gewohnheit war auch ich ein Mensch, der aufwachte, wenn jemand sich die Freiheit nahm, ihn zu beobachten.
    »Lily? Sie sind noch hier?«
    »Ja, ich …«
    »Agnes Kruse ist auf dem Weg nach Hause, mein Lieber.«
    Frau Hansen klang hart wie ein Steinbruch, und zu meiner Überraschung streckte Herr Hansen die Hand nach mir aus.
    »Sie haben mir gerade vorgelesen, nicht wahr?«
    Er hielt mich an meinem Hemdsärmel fest, und ich hätte ihn umarmen können. Doch natürlich tat ich das nicht. Nicht vor Frau Hansen.
    »Aus Lady Nellas geschlossene Augen ?«, fuhr er fort und nickte zu den Regalen hin. »Nehmen Sie ein paar von Antonias Büchern mit nach Hause, wenn Sie mögen, Fräulein Agnes. Was Sie gelesen haben, scheint Sie stark beeindruckt zu haben.«
    Ich war bei dem Regal, bevor Frau Hansen etwas anderes einwenden konnte als »Wir müssen noch ein paar Worte miteinander reden, bevor Sie gehen, Fräulein Kruse«. Und als die Tür hinter ihr zuknallte, zog ich schnell die drei nächstbesten Bände aus Herrn Hansens Regal. Die verlassenen Fräulein , Der Jungfrauenkäfig und Das Gabelbein

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