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Das Turmzimmer

Das Turmzimmer

Titel: Das Turmzimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leonora Christina Skov
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zusammenflicken durch halbe Geschichten und Fragen, die ich beantworten oder nicht beantworten konnte. Herr Hansen hatte unser Gespräch ohnehin wieder vergessen, sobald es beendet war.
    Doch an eines konnte er sich erinnern, oder aber Frau Hansen erinnerte ihn jeden Morgen kurz vor neun daran. Jedenfalls war sehr schnell er derjenige, der mir die Tür öffnete. Und es mag vielleicht etwas seltsam klingen, doch wenn ich bei der Treppe im Vodroffsvej angekommen war, ließ der Gedanke an Herrn Hansen, der dort oben an der Tür auf mich wartete, meine Füße schneller laufen. Der Gedanke an Herrn Hansens warme Hände, zu wissen, dass sie einen Moment später nach meinen greifen würden, ließ mich innerlich jubeln. Über mein neues Leben. Meinen neuen Anfang.
    »Willkommen. Was haben wir uns lange nicht gesehen, Lily!«
    »Agnes Kruse, Herr Hansen, nicht Lily.«
    »Ja, ja, das stimmt, das stimmt. Kommen Sie herein, Fräulein Agnes. Die Schuhe können Sie dort auf den Boden stellen.«
    »Ich weiß.«
    »Ja, denn wir wollen doch keinen Ärger mit meiner Frau bekommen, nicht wahr? Lassen Sie mich Sie ansehen! Sie sehen wirklich müde aus! Und sagen Sie mir doch, was Sie mit Ihrem Haar gemacht haben? Es sieht ja aus wie …«
    Hin und wieder hatte ich das Gefühl, dass er sich in Wirklichkeit gut an meinen Namen und mein Haar und den Heuhaufen, dem es glich, erinnerte und nur das Ritual mochte. Und mir ging es nicht anders. Eine ganz besondere Ruhe überkam mich, wenn wir genau die gleiche Unterhaltung wie am Vortag führten. Doch eines Morgens war alles anders, denn Herr Hansen hielt etwas in der Hand, als ich oben an der mittleren Tür angekommen war. Ein Paar braune Pantoffeln. Abgestoßen an den Zehen und mit deutlichen Abdrücken von ein paar Fersen im Lammfutter.
    »Sie sollen doch nicht hier sitzen und an den Füßen frieren, Fräulein Agnes«, sagte er und reichte sie mir mit einer einladenden Geste. »Ich denke, wir haben die gleiche Größe, meinen Sie nicht?«
    Ich kann mich nicht erinnern, was ich geantwortet habe, aber ich erinnere mich genau, dass die Pantoffeln perfekt passten und ich nicht wusste, wie ich auf eine solche Freundlichkeit reagieren sollte. Schon gar nicht von einem Mann, der mit etwas gutem Willen mein Vater hätte sein können. Letzteres schob ich entschieden von mir. Doch ich kam nicht umhin, die kleinen Dinge an ihm wahrzunehmen, die mich an mich selbst erinnerten. Ich konnte es auch nicht verhindern, an sie zu denken, auch lange danach noch. Wir beide bevorzugten unseren Kaffee sehr stark, mit Milch und ohne Zucker, wir waren beide ordentlich, und meine Lieblingsfarbe war das tiefe Blau, in dem das abstrakte Bild über seinem stattlichen Schreibtisch gehalten war. Er hatte bestimmt oft davor gesessen und es angesehen, als er hier drinnen gearbeitet hatte, denn manchmal drehte er den Kopf in diese Richtung, und in seinem Blick sah ich so etwas wie ein Erkennen. Ein Wiedererkennen. Ich lernte schnell, danach zu suchen, und an dem Morgen, an dem er mir seine alten Pantoffeln reichte, sah ich es sofort in seinen Augen. Ich hätte nie geglaubt, dass es sich so schön anfühlen konnte, von jemandem wiedererkannt zu werden.
    Dieser Tag war einer von Herrn Hansens klaren Tagen. Der erste, den ich erlebte. Frau Hansen erschien in der Küchentür. Ihre ganze Erscheinung wirkte frischgebügelt, und ihre Stimme war kühler als sonst.
    »Kaffee oder Tee?«
    »Kaffee, danke.«
    In Anbetracht der Tatsache, dass ich jeden Morgen »Kaffee, danke« antwortete, wunderte es mich schon, dass sie immer noch fragte. Aber vielleicht hielt auch sie an Ritualen fest. Oder die Not hatte sie gelehrt, daran festzuhalten. Ich konnte sie draußen in der Küche klappern hören. Es klang, als würde sie die teuren Porzellantassen am liebsten zerschlagen, doch stattdessen knallte sie sie auf Herrn Hansens Tisch und verschwand, ohne ein Wort zu sagen. Ich griff nach meinen Notizen, und es bestand kein Zweifel. Sie lagen nicht da, wo ich sie abgelegt hatte. Sie waren sogar in umgekehrter Reihenfolge, und während ich sie ordnete und mich darüber aufregte, wie unbrauchbar sie waren ( Etwas ist mit …. Und so weiter und so weiter. Was habe ich gerade gesagt? ), saß Herr Hansen da und sah mich an. Er hatte den Kopf schief gelegt.
    »Woher genau kommen Sie, Fräulein Agnes?«, fragte er. Es kam mir nicht in den Sinn zu lügen, was mir fremd war.
    »Meine erste Erinnerung ist das Kinderheim, das Sie von Ihrem Balkon aus sehen.

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