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Das Turmzimmer

Das Turmzimmer

Titel: Das Turmzimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leonora Christina Skov
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Punkt über meinem Kopf gerichtet (möglicherweise an meinen Heiligenschein, so rechtschaffen, wie ich mich vor wenigen Augenblicken präsentiert hatte). Zu meiner Verwunderung griff er nach meinen beiden Händen und drückte sie fest. Ich spürte das riesige Pflaster auf seinem Handrücken, er offenbar auch.
    »Was ist mit meiner Hand passiert?«
    »Sie haben sich geschnitten, Herr Hansen.«
    Seine grünen Augen strahlten.
    »Das stimmt, ja. Das habe ich«, sagte er. »Neulich, nicht wahr? Als ich … den verdammten …«
    Er stockte und sah mich forschend an. Lange, wie es mir schien.
    »Wollen Sie mich nicht Simon nennen wie früher?«
    Er ließ meine Hände los, und Frau Hansen räusperte sich hinter seinem Rücken.
    »Erinnerst du dich gar nicht, warum Fräulein Agnes hier ist, mein Lieber?«
    Mir gefiel die Art, wie er die Hand nach hinten ausstreckte und ihr die Wange streichelte. Als wäre er es gewohnt, ihr auf diese Weise zu antworten. Jetzt blinzelte er mir zu.
    »Agnes! Wir haben doch auch einmal jemanden gekannt, der so hieß, nicht?«
    Frau Hansen mischte sich ein.
    »Sie sind nicht hier, um meine Erinnerungen aufzuschreiben, Fräulein Kruse. Sie sind hier, um die Erinnerungen meines Mannes aufzuschreiben, und bis jetzt liegt kein Entwurf vor, fürchte ich. Die Idee ist die, dass Sie aufschreiben, was mein Mann Ihnen erzählt. Ist es nicht so, mein Lieber? Du hast mehrere Monate davon geredet, dass du eine Sekretärin brauchst, da du gerne etwas erzählen willst. Erinnerst du dich?«
    Herrn Hansens Augen wirkten jetzt dunkler. Er sah sich verwirrt im Wohnzimmer um, bevor er nickte, doch ich war mir bei Weitem nicht sicher, dass er zu dem Gleichen nickte wie sie.
    »Und wo kommt die Reinschrift der Memoiren ins Spiel?«, sah ich mich genötigt zu fragen. Frau Hansen senkte den Blick.
    »Ach, wissen Sie, man kann das wohl nennen, wie man will«, sagte sie. »Erinnerungen, Memoiren. Ich glaube nicht, dass Sie der Sache so viel Gewicht beimessen sollten.«
    Herr Hansen räusperte sich einladend.
    »Ich würde es wirklich zu schätzen wissen, wenn Sie meine Sekretärin würden … Agnes«, sagte er. Natürlich war es von Anfang an hoffnungslos, ein Diktat von einem verkalkten Mann aufzunehmen, der seine Erinnerungen zu Papier bringen wollte. Doch nichtsdestotrotz willigte ich ein, sogar ohne längere Bedenkzeit. Zum Teil, weil er mir instinktiv sympathisch erschien und ich neugierig war, was er mir erzählen wollte. Natürlich spielte auch mit hinein, dass Frau Hansen mir am Telefon ein Honorar angeboten hatte, das weit über dem lag, mit dem ich mich sonst zufriedengeben musste. Doch vor allem sagte ich ja, weil ich von einem neuen Anfang träumte. Einem neuen, redlichen Leben, in dem ich nicht mehr auf der Flucht war, jedenfalls nach einer Weile nicht mehr, wenn alles sich etwas beruhigt hatte. Man erwartete nichts anderes von mir, als dass ich mir täglich vier Stunden lang Notizen machen würde, während Herr Hansen erzählte, die Notizen hinterlegte, wenn nichts anderes vereinbart war, und am nächsten Tag wiederkam. Das klang nicht nur harmlos. Das klang kinderleicht.
    Auf dem Weg aus der Wohnung nahm Frau Hansen mich zur Seite. Ihr Atem roch stark nach Pfefferminz.
    »Bevor Sie gehen, gibt es noch ein paar Dinge, die Sie wissen sollten«, sagte sie. Ich protestierte nicht. Vielleicht hatte ich bereits damals das Gefühl, dass von Herrn Hansen nur wenige Informationen kommen würden. Jedenfalls erfuhr ich nun, dass er 82 Jahre alt war und, bis das Alter sich auf sein Gehirn niederschlug, einen eigenen Verlag geleitet hatte, Hansen & Sohn. Jetzt kümmerte sich Frau Hansen darum, soweit sie es vermochte, wie sie es formulierte, und natürlich kam sie zu nicht viel, da sie sich auch noch um ihn kümmern musste. Aber das sagte sie nicht. Ihr Gesicht hatte längst wieder seinen starren Ausdruck angenommen.
    »In seinen klaren Momenten bittet mich mein Mann immer, eine Sekretärin einzustellen, wenn sie verstehen, was ich meine«, sagte sie. »Und vielleicht fragen Sie sich, warum ich nicht einfach selbst die Notizen für meinen Mann mache, da ihm wohl niemand näher steht als ich. Sehen Sie, ich habe ein Leben lang als Verlagssekretärin gearbeitet. Deshalb schulde ich es Ihnen zu sagen, dass ich es ihm viele Male angeboten habe, doch er weigert sich etwas zu sagen, wenn ich dabei bin. Ungeachtet, was ich tue. Deshalb sind Sie hier, Fräulein Kruse.«
    »Aber ich bin doch auch nur eine Sekretärin, Frau

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