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Das Turmzimmer

Das Turmzimmer

Titel: Das Turmzimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leonora Christina Skov
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hast?«
    »Stimmt.«
    Es tat ihr gut, an der frischen Luft zu sein. Ihre Wangen waren leicht gerötet, und ihr Haar glänzte wie das einer Puppe.
    »Dann müssen die Leser sich doch allmählich wundern«, sagte sie. Ich antwortete wahrheitsgemäß, dass ich hoffte, dass sie reichlich damit zu tun hätten, meiner Aufklärungsarbeit zu folgen.
    Nella half mir, die Äste zu dem sehr viel größeren Stapel zu bringen, der an der Hauswand lehnte. Um Feuer zu machen, wenn alles zu Brennholz gehackt war, nahm ich an.
    »Mutter hätte dich sehr viel mehr geliebt, als sie mich jemals geliebt hat«, sagte sie, während sie die Äste stapelte. Ich wusste nicht, was ich darauf antworten sollte.
    »Das ist doch offensichtlich, komm schon!«, fuhr sie fort. »Wenn sie eins geschätzt hat, dann war das Scharfsinn. Deine Art von Scharfsinn. Sie sprach ihre versteckten Befehle aus, und du wärst im Stande gewesen, sie zu verstehen.«
    Nella weiß das nicht (bis jetzt, jedenfalls), aber ich habe tatsächlich schon etwas Ähnliches gedacht. Was hätte ich erreichen können, wenn sie meine Mutter gewesen wäre! Für die Richtige wäre Antonia von Liljenholm ein fantastisches Vorbild gewesen, da bin ich mir sicher. Sie hätte mich alles von Grund auf lehren können, sodass ich nicht hier sitzen und mich vortasten müsste. Nella war etwas eingefallen, das sah ich ihr an.
    »Ich war gestern drüben auf Frydenlund … wegen einer zweiten Sache«, sagte sie. Ich wollte sie fragen, was denn die erste Sache gewesen sei, doch sie kam mir zuvor.
    »Ich habe mich mit denen da drüben angefreundet.«
    »Ja, das ist nicht zu übersehen.«
    Sie war etwas zu gut darin geworden, meine säuerlichen Kommentare zu überhören.
    »Ich habe etwas herausgefunden, das vielleicht mit in das Manuskript gehört«, sagte sie und hob die Hand, bevor ich etwas erwidern konnte. »Hör zu«, sagte sie, »es geht um Clara.«
    Mir entging ihr Eifer nicht.
    »Stell dir vor, ich hatte vollkommen recht, Agnes! Herr Hans, der, wie du weißt, Frydenlund nach Herrn Williams Tod gekauft hat, hat tatsächlich erzählt, dass meine Großmutter Clara und Herr William über mehrere Jahre eine Affäre hatten. Habe ich es nicht gesagt! Clara hätte nie für Horace diese pikante Unterwäsche angezogen!«
    Nella sah mich an, als wäre mein Gesicht eine Landkarte von einem verschwundenen Kontinent.
    »Die verstorbene Schwester von Herrn William hieß Elisabeth, Agnes. Dämmert dir langsam der Zusammenhang?«
    Natürlich sah ich einen Zusammenhang. Antonia und Lily hießen vermutlich Elisabeth mit Zweitnamen, weil Herr William und nicht Horace ihr richtiger Vater war. Es kann schon sein, dass es an mir liegt, aber ich kann mich einfach nicht über eine sechzig Jahre zurückliegende Nachbarschaftsaffäre ereifern. Erst recht nicht jetzt, wo mich meine Geschichte von Simon völlig beschäftigt und ich versuche, all die kleinen, aber nichtsdestotrotz entscheidenden Details in der richtigen Reihenfolge aufzuschreiben.
    »Ja, aber es war doch ein Glück für Antonia und Lily, dass nicht Horace ihr richtiger Vater war«, sagte ich deshalb und versuchte, mich zurückzuziehen. »Ein Mann, der seine eigene Schwester vergewaltigt hat; dessen Gene mag doch wohl keiner weitergeben.«
    Simo hatte sich ebenfalls erhoben, sein ganzer behaarter Körper wedelte. Als wir zurück nach Liljenholm gingen, spürte ich Nellas Blick. Ihr Ruf bohrte sich in meinen Rücken.
    »Zufälligerweise heißt das auch, dass ich nicht mit diesem furchtbaren Mann verwandt bin, Agnes! Glaubst du nicht, dass mich das unheimlich erleichtert?«
    Ich hätte mich umdrehen und ohne Vorbehalt bei ihr entschuldigen müssen, doch das tat ich nicht. Ich ging zu meinem Schreibtisch, an dem ich seitdem sitze und zu Nella hinausstarre. Sie hackt jetzt Brennholz, ihre Bewegungen zeigen noch immer deutlich ihre Wut. Inzwischen gibt es so vieles, für das ich mich bei ihr entschuldigen müsste. All diese Monate, in denen ich mehr und mehr in meiner Geschichte abgetaucht bin. Allmählich fühle ich mich völlig in ihr gefangen, aber ich habe wohl keine andere Wahl, als damit fortzufahren und sie zu beenden. Auf lange Sicht kommt meine Arbeit sowohl Nella als auch mir zugute. Das hoffe ich jedenfalls noch immer.

Eine Handvoll Orkane
    Lassen Sie mich also meinen Bericht dort fortsetzen, wo ich ihn vor ein paar Tagen unterbrochen habe. Ich wusste so in etwa, was mich erwartete, als ich am nächsten Morgen den Vodroffsvej hinunter und hinauf

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