Das Turmzimmer
Kirschbaum auf Höhe meines Fensters beschnitten, während Simo oben auf dem weißen Stein gelegen und geschlafen hat.
»Hat die Welt denn nichts Besseres zu tun?«, hat sie die wenigen Male gefaucht, in denen ich versucht habe, mich ihr zu nähern. »Dänemark ist besetzt, verdammt! Die deutschen Truppen stehen vor Stalingrad! Und was machen die Leute? Sie durchforsten Antonia von Liljenholms Korrespondenz aus dem Jahr 1932!«
Sie hat recht, es ist unerfreulich, doch in gewisser Weise auch verständlich in einer Zeit wie der unseren.
Obwohl Antonia von Liljenholms Leserschar beträchtlich zu schrumpfen begann, als auch sie das tat, ist sie nichtsdestotrotz in Europa und Amerika seit Jahrzehnten gelesen worden. Man kann sogar sagen als eine Autorin, die sich für die Freiheit einsetzte, da sie immer wieder über Frauen geschrieben hat, die mit einengenden Konventionen brechen und ihre wirkliche Bestimmung als Künstlerin leben. Meistens sind sie nur Nebenfiguren, aber trotzdem. Es gibt sie. Jetzt hat eine britische Zeitung einen ihrer Briefwechsel in die Finger bekommen und ein paar aufsehenerregende Zitate durchsickern lassen, die ihren Weg bis zur Berlingske Tidende gefunden haben. Wäre es der Briefwechsel mit Daphne du Maurier gewesen, hätte das dem Buchverkauf möglicherweise gedient. Doch wie Sie bestimmt bereits wissen, ist das keineswegs der Fall.
Offenbar war eine gewisse Wallis Simpson, spätere Duchess of Windsor, ein großer Fan von Antonia von Liljenholm. Seit ihrer Ehe mit Englands inzwischen abgedanktem König Eduard VIII. ist sie eigentlich eher als Glücksritterin denn als Bücherwurm bekannt. Im Moment hält sich das Paar aufgrund diverser Gerüchte bezüglich der Spionage für das Dritte Reich auf den Bahamas auf. Doch damals, 1932, wohnte Wallis alleine in London, hatte vermutlich eine Affäre mit dem jetzigen Außenminister des Dritten Reichs und schrieb lange Briefe an Antonia, die Antonia leider auch beantwortet hat.
Nun ja, ich brauche wohl kaum ins Detail zu gehen, deshalb will ich mich damit begnügen zu erwähnen, dass weder Nella noch ich oder der Verlag uns so unbeirrbar zur Außenpolitik äußern würden, wie Antonia das angeblich vor zehn Jahren in ihren Briefen an Wallis getan hat. Wie zum Beispiel mit ihrem Zitat, dass man den Nazis freie Hand lassen sollte, die Kommunisten auszurotten. Wir vertreten nicht die Meinung, dass man Kunst und Politik auf diese Weise vermischen sollte, und dazu hat Nella auch einen ausführlichen Kommentar in ihrer Eigenschaft als Antonias Verlegerin geschrieben.
»Doch was hilft das schon?«, hat sie vor Kurzem gesagt, als ich im Park vorbeischaute und sie eine Axt in der Hand hielt und die Äste eines verdorrten Baums abhackte. Ich hatte keine Ahnung, was ich ihr antworten sollte. Denn wie die Zeitungen ebenfalls in Form von Fotos dokumentiert haben, sehen sich Antonia und Wallis auffallend ähnlich; die gleiche abgemagerte Figur, die gleiche Frisur, das gleiche Make-up und sogar die gleiche Mimik.
»Die Leser können doch gar nicht richtig erkennen, ob das Antonia oder Wallis ist, die sich da breit lächelnd mit der Hand in der des Führers hat abbilden lassen«, fuhr Nella fort. Ich versuchte etwas Tröstendes zu sagen, wie dass der abgedankte König direkt daneben steht und ebenso sein breitestes Lächeln zeigt. Außerdem wurde das Bild 1937 aufgenommen, als Antonia bereits ein Jahr tot war. Die Leute konnten sich demnach selbst ausrechnen, dass das nicht Antonia sein konnte. Doch Nella warf mir nur ein Bündel Äste zu.
»Du weißt genau, was ich meine!«
Sie hat vollkommen recht. Das weiß ich. Es stärkt Antonia von Liljenholms Ruf nicht gerade, dass sie jetzt mit einer zweimal geschiedenen, unpopulären Frau in Verbindung gebracht wird, die längst auf unbestimmte Zeit auf die Bahamas abgeschoben worden ist. Wir können nur hoffen, dass es dem Verkauf dieses Buchs nicht schadet. Nellas Sorge lässt sich nur schwer als übertrieben abtun. Sie sagt es nicht direkt, doch ich weiß, dass sie das Buch unbedingt so schnell wie möglich herausbringen will.
»Bist du inzwischen bei meiner Geschichte angelangt?«
Sie reichte mir noch einen Stoß Äste, sodass ich sie durch ein Rindengitter sah.
»Nein, ich muss noch aufdecken, wovor Simon Angst gehabt hat und was er mir aufgrund des Versprechens, das er gegeben hatte, nicht erzählen konnte.«
»Dann hast du auch noch nicht erzählt, womit du dir die Nächte um die Ohren geschlagen
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