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Das ueberirdische Licht - Rueckkehr nach New York

Das ueberirdische Licht - Rueckkehr nach New York

Titel: Das ueberirdische Licht - Rueckkehr nach New York Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Honigmann
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aber sie stammte, wie gesagt, aus Breslau, wie ursprünglich die ganze Familie meines Vaters, väterlicherseits. Für die mütterliche Seite, die aus Frankfurt, war das schon halb Polen, und die Heirat zwischen der Leonie aus Frankfurt und dem Georg Gabriel aus Breslau wurde entsprechend als Mesalliance angesehen.
    Du mußt am Grand Central den 104er nehmen, hatte mir »Mutti« am Telefon erklärt, dann durchquerst du die Upper West Side und dann Harlem, und wenn du irgendwann die einzige Weiße im Bus bist, brauchst du dich nicht zu beunruhigen. Für den Rückweg bestelle ich dir ein Taxi.
    Das Treffen war sozusagen ein »historisches«, die erste Begegnung meines Lebens mit einer leiblichen Verwandten, einer echten Cousine meines Vaters, der zu diesem Zeitpunkt schon tot war. In dem Haus, in dem ich sie besuchte, lebte »Mutti« seit dem Tage ihrer Ankunft im Jahre 1939, und zwar in genau derselben Wohnung, die ihr damals das Teachers’ College der Columbia University, an dem sie dann ihr ganzes zweites, amerikanisches Leben lehrte, zur Verfügung stellte und in der sie auch bleiben konnte, als sie in Pension ging.
    Auch wenn es unwahrscheinlich klingt, es hat in meinem ganzen Leben niemals Verwandte und auch keine Großeltern gegeben. Als ich Kind war, empfand ich das noch nicht einmal als ungerecht, sondern nahm es als Schicksal hin, zumal meine Freundinnen, die eine unübersehbare Zahl von Onkels und Tanten und Omas und Opas hatten, sich daran nicht eindeutig erfreuten, sondern sogar klagten, wenn sie zu langweiligen Besuchen antreten mußten, auch wenn sie Geschenke einbrachten. Die Familienangehörigen meiner Eltern waren entweder schon lange gestorben, oder sie waren aus schwer zu verstehenden Gründen aus ihrem Leben verschwunden oder daraus verbannt und hatten nur in seltenen Erzählungen eine Spur der Erinnerung hinterlassen. Da tauchten sie in einer glänzenden Unwirklichkeit als Bankiers in Frankfurt oder Juwelenhändler in Paris und Konstantinopel auf, als Ärzte und Professoren, wenn auch »außerordentliche«, denn »ordentliche« durften sie als Juden nicht werden, oder als bizarre Erscheinung wie der Cousin Hans, von dem mein Vater immer kichernd erwähnte, er habe »sein Leben als Affe beendet«. So kryptisch blieb die Überlieferung von diesem Cousin, der bis zur Nazizeit Direktor des Breslauer Zoos gewesen, aber 1934 seiner »Rasse« wegen entlassen worden war und emigrieren mußte. In England fand er dann, nach den Aussagen meines Vaters in der Nähe von Liverpool, nach »Muttis« Aussage in der Nähe von Birmingham,eine neue Anstellung als Zoodirektor und soll sein Leben eben dort als Affe beendet haben. Von »Mutti« habe ich über das Affen-Ende nichts erfahren und natürlich auch nicht gewagt, danach zu fragen. Zu dieser Zeit war sie schon in Amerika, rechnete ich mir aus. Meines Vaters Kichern hatte immer so geklungen, als ob es darüber noch viel mehr zu erzählen gäbe. Er erzählte es aber nicht.
    Als »Mutti« mir die Tür öffnete, war ich erschrocken über ihre Ähnlichkeit mit meinem Vater; es war geradezu, als ob er auferstanden sei. Ich hatte ja vorher noch nie Familienähnlichkeiten in einem Gesicht gesehen.
    »Mutti« hatte einen richtigen Kaffee-und-Kuchen-Tisch für uns beide gedeckt. Sie war schon sehr alt, konnte sich aber sehr gut an den Schorschel erinnern, wie sie meinen Vater, der Georg hieß, nannte, und als sie diesen Namen aussprach, war er auch mir wieder geläufig, weil sich mein Vater manchmal selbst so genannt hatte, wenn er eine Anekdote aus seiner Kinderzeit oder Jugend erzählte. Das letzte Mal hatte sie ihn in London kurz vor Kriegsausbruch gesehen, erzählte sie, bevor sie nach Amerika weitergezogen war. Besonders in Erinnerung geblieben war ihr der Schorschel aber aus einer noch früheren Zeit, als er ein Studienjahr in Breslau verbracht, im Hause ihres Vaters, also seines Onkels, gewohnt und die Familie mit seiner bohèmehaften Art schockiert hatte. Wie er sich anzog,wie er dasaß, wie er sprach, so etwas hatte ich noch nie gesehen, gehört, erlebt, erzählte »Mutti«, schließlich gehörten wir zu den besseren Kreisen der Breslauer Bourgeoisie. Das Allerschockierendste aber war, daß er aus meinem Zahnputzbecher getrunken hat, etwas Grauenhafteres konnte ich mir damals überhaupt nicht vorstellen. Wir waren schließlich hygienisch dressiert, und dabei war sein Vater doch, genau wie meiner, Arzt!
    »Mutti« lachte, wir lachten beide. Was für eine lustige

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