Das ueberirdische Licht - Rueckkehr nach New York
Erinnerung muß immer in die Vergangenheit zurückgehen, aber die Traumerscheinungen sind Gegenwart.
Meine Residenz im Pei-Turm hätte meinem Vater sicher gut gefallen. Nicht nur, weil er sowieso immer von New York geschwärmt hat, seit er als junger Mann, in den 20er Jahren, einmal dort gewesen und mit dem Auto nach Norden hinauf gefahren war, oh, wie du über die highways braust!, sondern auch wegen des provisorischen und ungebundenen Charakters meines Residenzdaseins. Plötzlich verstehe ich auch das Hotel als Ort unseres Treffens im Traum. Obwohl ich schon so oft über meinen Vater, unser gemeinsames und unser getrenntes Leben nachgedachthabe, fällt es mir erst jetzt wie Schuppen von den Augen, daß mein Vater eigentlich sein ganzes Leben nur wie im Hotel verbracht hatte, unbehaust, nur mit dem versehen, was er am Leibe trug, ohne jedes Gepäck. Und nicht nur wegen des Exils. Schon als Kind hat er seine Mutter verloren, er sagte oft, ich habe meine Mutter während ihres kurzen Lebens nie außerhalb des Bettes gesehen. Zwei Jahre nach ihrem Tod ist sein einziger Bruder im Ersten Weltkrieg gefallen. Danach hat ihn sein Vater zu »Paulus« Geheeb in die Odenwaldschule geschickt, deren ungewöhnlich freie Atmosphäre ihn wahrscheinlich ein für alle Mal für ein wohlgeordnetes bürgerliches Leben verdorben habe, wie er später vermutete. Durch Freiheit für immer geschädigt, so sah er das oder redete es sich ein. Nach seinen Erzählungen jedenfalls wurden die Schüler dort von den Lehrerinnen sogar in der Liebeskunst unterrichtet. Damit wollte er wohl der Odenwaldschule, die er ansonsten sehr verehrte, die Schuld daran geben, daß er in seinem späteren Leben immer nur ein »Staatsbürger im Königreich der Frauen« geblieben ist. Liebe – Heirat – Scheidung, neue Liebe – neue Heirat – neue Scheidung, ungefähr im Zehn-Jahrestakt, und ohne daß er etwa irgendeinen Gegenstand oder Besitz von der einen Ehe in die nächste getragen hätte. In seinem ganzen Leben gab es kein einziges Stück, von dem er jemals gesagt hätte, es gehöre ihm, nicht einmal ein Buch. Nichts gehörte ihm,und er gehörte niemandem, er verzichtete auf alle Zugehörigkeiten, die zu den Juden und die zu den Deutschen, jedenfalls mochte er nicht von anderen zugeordnet werden. Auch der »Genosse« paßte ihm nicht so recht; wahrscheinlich hat ihn meine Mutter, während sie mit ihm verheiratet war, in die »Genossenschaft« gedrängt, denn als »Bürgerlicher« war er ins Exil nach England gekommen, und als Kommunist hat er es zusammen mit meiner Mutter wieder verlassen. Aber die Genossenschaftswelt war überhaupt nicht seine Welt, das merkte jeder. Deshalb mußte er sie ja manchmal so fest behaupten.
Auch seine Berufe blieben eigentlich unbestimmt, Journalist, Redakteur, Produktionsleiter beim Film, Kabarettdirektor. Die Kunst liebte er zwar, aber ohne Hingabe. Er lebte in Wohnungen, die nach dem unterschiedlichen Geschmack seiner wechselnden Frauen eingerichtet waren, ihm war das gleichgültig, so wie er die jeweiligen Frauen auch nach ihrer Wahl in die Ferien begleitete, die eine liebte das Meer, die andere wanderte gern im Gebirge, wahrscheinlich bemerkte er den Unterschied gar nicht. Seine Tochter und seinen Hund liebte er jedoch aufrichtig, die Vater- und die Herrchenrolle hat er nicht abgewiesen. Das können wir ihm nicht vorwerfen, sein Hund und ich.
Wir saßen also im Traum in der Hotelhalle und machten uns gründlich über die ganze Welt lustig, das war ja seineLieblingsbeschäftigung. Und er trank gerne Kaffee, er trank gerne Wein, er aß gerne gut und trug gerne gutsitzende, maßgeschneiderte Anzüge. Zu den Anproben nahm er mich manchmal mit, das war immer etwas langweilig für mich, er aber wirkte sehr engagiert, was den Sitz des Anzugs betraf. Ein Asket war er wirklich nicht. Er gab sich gerne all den Genüssen hin, die bald ausgetrunken, aufgegessen und abgetragen waren.
Was willst du denn in dem provinziellen Frankreich, sagte er, als ich aus der DDR ausreiste, losreißen mußt du dich. Gründlich losreißen. Nach Amerika mußt du gehen. Dort wirst du deinen Platz finden. In Europa bleibst du immer unzugehörig, sei es zu einer Klasse oder einer Rasse oder einem Land und seinen Gauen, seiner Geschichte und seinen Gesichtern. Geh weit weg. So weit weg wie möglich! Geh nach Amerika. Reiß dich los!
»Mutti« am Morningside Drive
»Mutti« wohnte am Morningside Drive, als ich sie damals, Anfang der 90er Jahre, besuchte,
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