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Das ueberirdische Licht - Rueckkehr nach New York

Das ueberirdische Licht - Rueckkehr nach New York

Titel: Das ueberirdische Licht - Rueckkehr nach New York Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Honigmann
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daß sie nur an einem einzigen Tag aus ihrem vor Licht, Luftfeuchtigkeit und Dieben geschützten Raum der Öffentlichkeit zur Betrachtung anvertraut werden. Dieser einzige Tag wird der nächste Martin Luther King-Day sein, genau wie Thanksgiving ein fester und beweglicher Feiertag zugleich, der dritte Montag im Januar. Das sind die ersten sieben der Top Ten:
    Nr. 1 Die Unabhängigkeitserklärung
    Nr. 2 Die Verfassung
    Nr. 3 Bill of Rights
    Endlich lernen wir, daß man die ersten zehn amendements zur Verfassung die Bill of Rights nennt, mit denen dieGründerväter die individuellen Freiheiten vor einer eventuell übermächtigen Zentralmacht schützen wollten. Finden wir sehr gut.
    Nr. 4 Louisiana Purchase
    Von Peter kommentiert mit: »Bei einem Volk, das so blöd ist, daß es den besten König, den es je hatte, guillotiniert, muß man sich nicht wundern, daß es für 15 Millionen Dollar einen halben Kontinent verkauft, der seine Zukunft hätte sein können.« Wir versuchen uns vorzustellen, wie der Gang der Geschichte ausgesehen hätte, wenn Napoleon dieses riesige Gebiet, ein Drittel der heutigen USA, nicht verkauft hätte. An unserer Wut auf Frankreich merken wir, daß wir uns dort langsam so recht und schlecht zu Hause fühlen, so, wie unsere Nachsicht und Toleranz mit Deutschland der zunehmenden Entfernung entspricht.
    Nr. 5 Die Abschaffung der Sklaverei
    Nr. 6 Die Einführung des Frauenwahlrechts
    Nr. 7 Die Abschaffung der Rassendiskriminierung
    Die letzten drei Dokumente verpassen wir, weil Dennis an die Tür klopft. Er möchte uns einem Freund vorstellen, der gerade aus L.A. zu Besuch ist und es schrecklich interessant fände, Leute kennenzulernen, die in der DDR gelebt haben, und sie darüber auszufragen. Wir sind zu höflich, um das abzulehnen, obwohl wir viel lieber ihn oder Dennis nach Amerika und der Bill of Rights ausfragenwürden. Wir hassen es, ewig DDR-Bürger bleiben zu müssen. Wir wollten diese DDR doch hinter uns lassen, warum klebt sie an uns wie Pech, darüber sind wir wütend. Wenn wir uns streiten, Peter und ich, uns Vorwürfe machen, läuft es auch immer darauf hinaus, daß wir uns gegenseitig des DDRtums, der DDR-Engstirnigkeit, der DDR-Spießigkeit oder des DDR-Vokabulars anklagen. Was weiß denn einer aus L.A. schon davon, was geht es ihn an. Dazu hängt er viel zu tief in dem tiefen Sessel, hebt zur Begrüßung viel zu lässig nur den Zeigefinger der rechten Hand, macht beim Sprechen den Mund, in dem er offensichtlich auch noch ein Kilo Kartoffeln verstaut hat, viel zu wenig auf, spricht sowieso nur Vokale aus und ähnelt im großen und ganzen dem Ami von der Westküste, wie ihn sich nur irgendein DDR-Spießer in seinen schlimmsten Albträumen vorgestellt hat.
     
    Peter ist mit dem Schneesturm gekommen und im Schneesturm wieder abgereist. Jetzt ist es für ein paar Tage wieder Frühling, alle Leute außer mir laufen in leichten Mänteln und leichten Schuhen, als ob das normal wäre, Frühling im Dezember. Ich nehme meine ledige Rolle wieder auf. Ledig unbehindert unverheiratet unbesetzt leer. Das Bett bleibt ungemacht und das Zimmer unaufgeräumt, Essen aus der Tüte, wenig einkaufen, viel telefonieren. Viel Yoga und viel Sanda.
    Wir trinken viele Tassen Tee in ihrer MacDougal, essen Sesamkringel und liegen dabei auf der Couch, verschränken unsere Beine ineinander und fragen uns immer von neuem Jahre und Namen ab, suchen Erklärungen, finden Erinnerungen.
    Manches werden wir nie verstehen.
    Warum sie so früh gestorben sind. Erst Klaus, dann Peter, dann Thomas. Drei Büder, die wir gut kannten.
    Wir waren ihnen nah. Wir waren ihnen eng verbunden. Nicht zu jeder Zeit gleich nah und gleich eng, aber über die vielen Jahre doch wie verwandt. Die Schicksale unserer Eltern ähnelten sich auffallend: Juden, Deutsche, Exil, Rückkehr, DDR.
    Warum sie aber so lange vor ihrer Zeit gestorben sind. Jeder von ihnen zu früh. Erst Klaus, dann Peter, dann Thomas.
    Warum sie ihr ganzes kurzes Leben lang so unbehaust waren und es immer blieben.
    Wahrscheinlich waren sie die letzten echten Bohèmiens auf der Welt.
    Nicht, daß sie keinen festen Wohnsitz hatten, aber in ihren Wohnungen blieben sie uneingerichtet, Stuhl, Tisch, Plattenspieler, eine Matratze auf dem Boden als Bett. Nicht einmal viele Bücher, schon gar keine Bibliothek.
    Kleider, die sie trugen, bis sie ihnen buchstäblich vom Leibe fielen. Sommers und winters dieselbe Hose – Jeans,sommers und winters dieselbe Jacke – Parka, sommers und

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