Das ueberirdische Licht - Rueckkehr nach New York
Ländern.
Zuerst trägt einer aus der Runde sein paper vor, so daß der anschließenden Diskussion ein gedankliches Zentrum gegeben ist und sie nicht zum Biertischgespräch über Gott und die Welt ausartet. »Die Leute in diesem Raum« verstehen sich als Linke, die sich über ihre Position verständigen, derer sie sich unsicher geworden sind: What it means to be on the left, fragt der Vortragende sich und »die Leute in diesem Raum«. Das ist die Frage, die sie hauptsächlich zu klären wünschen, verstehe ich. So ähnlich stelle ich mir eine Aufklärerrunde vor, wie sie damals in Paris, im »großen Hauptquartier der Enzyklopädie« zusammengekommen ist, um die Welt umzudenken und neu zu entwerfen. Wie soll die Welt aussehen, in der wir zu leben wünschen, fragt der Vortragende noch.
Darüber diskutieren »die Leute in diesem Raum« dann, nicht etwa, um später irgendein Manifest zu veröffentlichen, sondern um der Selbstbefragung willen. »Wer sind wir? Welche gesellschaftlichen Projekte können, sollenwir unterstützen, wogegen müssen wir uns stellen, was bedeutet es denn noch, ein engagierter Intellektueller zu sein. Bedeutet es noch etwas? Sind wir aufrichtig?« Die »neuen Rechten« würden nur einer neuen binären Optik der 50er Jahre verfallen, während es doch gerade nicht um gut oder schlecht, sondern um das préférable au plus détestable gehe, wie Tony Judt, natürlich auf französisch, Raymond Aron zitiert, der, wie ich beobachte, zu neuer Anerkennung kommt, nachdem er so lange im Schatten Sartres stand. Dann diskutieren sie viel über das Grand Narrative , dem ich schon oft in Büchern begegnet bin, ohne ganz genau zu verstehen, was eigentlich gemeint ist. Das fehle nämlich, das Grand Narrative. Ich glaube, sie meinen damit eine umfassende, aber unideologische Sicht auf die Geschichte und Strukturen der Welt. Manchmal ist auch von Master Narrative die Rede, das ich mir als »Deutung der Welt« übersetze, denn als negatives Beispiel wird der weit verbreitete Antiamerikanismus herangezogen, dem sich »die Leute in diesem Raum« ausgesetzt fühlen und den sie zutiefst bedauern. Einer, ein Deutscher übrigens, wirft ein, schon Heidegger, ja, Heidegger, habe gesagt, daß sich in dem Problem der Europäer mit Amerika nur ihr eigenes Problem, eine Projektion ihrer Schwierigkeiten mit der Moderne ausdrücke. Er könne auch sagen, wo das bei Heidegger steht. Aber dann sagt er es doch nicht.
Nachher, beim Kaffee, stellt er sich mir vor. Er heißt Ulli und kommt aus Nordrhein-Westfalen. Nach dem Abitur, vor zwanzig Jahren, hat er sich ein one-way-ticket in die USA gekauft, seitdem ist er hier und hat jetzt eine Professur, an der New York University. Eine richtige mit tenure und allem Drum und Dran, unkündbar also. Ab nächsten Herbst wird er vielleicht nach Stanford, an die Westküste, gehen. Wir laufen nebeneinander die Treppe hinunter, diskutieren auf der Straße weiter und bleiben noch eine Stunde an der Ecke stehen, wo jeder eine andere Richtung einschlagen muß. In der Runde mit den »Leuten in diesem Raum« war ich gewissermaßen nur Gasthörer, aber jetzt fühle ich mich ausgesprochen angeregt von allem, was ich in diesen Stunden gehört und erlebt habe, fast möchte ich ihm sagen: Allez , denkt die Welt um, sie braucht es! Aber dann sage ich beim Abschied nur bye-bye , und er sagt, ich rufe dich noch mal an. Vor lauter Sympathie haben wir uns gleich geduzt.
Lower East Side Renaissance
This Shul is OUR Shul steht auf einem zerschnittenen Bettlaken, das quer über die Fassade gespannt ist, direkt unter die Rosette. OUR in Großbuchstaben und Rot. Der Rosette fehlen ein paar Scheiben, die Fassade ist ganz schmal, heruntergekommen, so wie alle Gebäude in der Lower East Side.
Von Jonathan, den wir beim Kiddusch in der Synagoge an der 6th Street getroffen haben, habe ich per E-Mail eine Einladung zum Schabbes erhalten: join us to another, more »funky« little shul, that we usually go to. Die Adresse ist Stanton Street. In der Lower East Side, also in walking distance von meiner Residenz.
Von außen sieht die Schul sonst nicht besonders funky aus, nur schmal, eng, tief, eher wie ein Eisenbahnwaggon und nicht wie ein Haus. Diese Gebäude werden tenements genannt, es waren die ersten Armenmietshäuser der Stadt. Die ganze Gegend hier, wo all die Erzählungen von den jüdischen Einwanderern aus Osteuropa spielen, die Lower East Side, bestand ursprünglich aus solchen tenements , hier sollen zu Beginn
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