Das ueberirdische Licht - Rueckkehr nach New York
Deutschland. Auf allen Dächern stehen Leute, die Happy New Year rufen und sich über jeden neu aufflammenden bunten Sternenregen freuen, ah! und oh!, als hätte ihnen die Bilderflut unseres Lebens nie etwas angetan. Auch auf dem Heimweg sind die Straßen voller ausgelassener Leute, die Happy New Year wünschen und lachen, manche sind ein bißchen angetrunken, aber keiner besoffen, keiner grob oder aggressiv, eine Stimmung bon enfant , wie man das in Frankreich nennt, wie beim Kindergeburtstag. Auf der Erde finde ich einen Ring, den schenke ich Sanda zu unserer goldenen Hochzeit, von der wir nicht weit entfernt sein können. Nun rieselt auch noch leichter Schnee. Eigentlich ist alles viel zu schön und zu friedlich, um wahr zu sein. Ich bin froh, nicht ins Bett gegangen zu sein, und als ich in meineResidenz zurückkehre, haben sogar die heulenden Katzen und Hunde die Wohnung freigegeben. Eine seltene Nacht, in der kein Wind weht und pfeift.
Wo Hannah Arendt begraben ist
Einmal komme ich noch über die Stadtgrenzen von New York hinaus.
Das Bard College hat mich eingeladen, an einem Übersetzercolloquium teilzunehmen und dort aus meinem gerade ins Englische übersetzen Buch zu lesen. Eigentlich haben das Samantha und Dedi organisiert, zwei junge Frauen, die das Online-Magazin Wordswithoutborders für internationale Literatur herausgeben und denen nichts, was gerade irgendwo auf der Welt zwischen Kopenhagen und Seoul geschrieben wird, verborgen bleibt, auch nicht das zufällige Zusammentreffen meiner Residenzzeit in New York mit dem Colloquium im Bard College. Auf ihrer Website stellen sie die Literaturen aller nur möglichen Sprachen und Länder in Übersetzungen vor, zumindest in Ausschnitten, weil sie finden, daß die Amerikaner in allzu großer Unkenntnis anderssprachiger poetischer Welten leben, ein unhaltbarer Zustand, den sie ändern wollen. Es gibt wohl keine Sprache der Welt von Arabisch bis Chinesisch, darunter Sprachen, deren Namen ich noch nie gehört habe, aus der sie keine Übersetzungen präsentieren. Die Website wird von zahlreichen Stiftungen privater, staatlicher und städtischer Art finanziert und vom Bard College gehostet, was immer das heißen mag.
Zu viert fahren wir in Samanthas Van 90 Meilen den Hudsonnach Annandale hoch, das ansonsten ein ganz unbekanntes Kaff ist, aber dem illustren College seine Postadresse gibt. Außer Samantha und Dedi (sprich Didi) ist noch Edith, genannt Edi (sprich Idi), dabei, die gerade den Don Quichote neu übersetzt hat und diese Übersetzung auf dem Colloquium vorstellen soll. Samantha fährt auf dem Highway genauso langsam und gemütlich wie alle hier, dafür hat sie auch reichlich Proviant für uns eingepackt, den wir, kaum daß wir New York City verlassen und die Auffahrt Richtung Albany genommen haben, wie kleine Kinder sofort aufessen. Wir sind richtig in Ausflugsstimmung, gehen in einer Raststätte noch Kaffee trinken und lachen und gackern die ganze Zeit. Das liegt wahrscheinlich daran, daß wir sonst immer so einsam an unseren Schreibtischen sitzen. Edi ist zwar die älteste, aber auch die ausgelassenste und fröhlichste von uns vieren, weil sie ihren Don Quichote nach so vielen Jahren Schwerstarbeit nun in den Schaufenstern der Buchhandlungen liegen sehen und sich erholen kann. In der New York Times gab es schon eine hymnische Besprechung. Ich frage sie ein bißchen aus, was sie zum Spanischen geführt hat, denn ihr Name jedenfalls klingt überhaupt nicht nach einem spanischen Familienhintergrund. Alle unsere vier Namen enden auf -mann, auch wenn die drei Amerikanerinnen das zweite –n fallengelassen haben, das finden wir lustig, schon weil wir im Moment gerade alles lustig finden. Ichwill es dir erklären, sagt Edi, dazu mußt du mal aus dem Fenster sehen. Dort sehe ich eine weite, hügelige Waldlandschaft, sogar mit richtigen Bergen. Wir durchqueren nämlich gerade den sogenannten »Borschtsch-Belt«, erzählt Edi, wo früher alle jüdischen Kinder des Staates New York ihre Ferien in Sommercamps verbracht haben, auch ich, und ihre Eltern auch noch meist irgendwo einen Bungalow hatten. Meine Großmütter konnten noch nicht mal Englisch, nur Jiddisch. Das ist die Sprache, von der ich herkomme und von der ich weggelaufen bin, bei Spanisch konnte die Mischpoche wenigstens nicht mitreden. – Jetzt, da alles schon ziemlich lange her ist, weiß sie nicht mehr genau, ob es mehr komisch oder traurig war: das spießige Milieu, die Peinlichkeiten der
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