Das ueberirdische Licht - Rueckkehr nach New York
vergessen. Deswegen meide ich halachische Belehrung, wo ich kann.
Ruben und ich beobachten mit Respekt, daß der Doorman unten im Haus jeden Tag genau die richtige Zahl elektrischer Kerzen und genau von der richtigen Seite, nach Hillel, anzündet. Ich hingegen setze mich über Hillel hinweg und entwerfe eine Kerzen-Installation, indem ich die bunten Kerzen auf dem Teller in ungeordneter Reihung zu einer Art Wald aufbaue. Wenn sie dann herunterbrennen, bleiben Wachsflatschen zurück, so daß ein bunt flackernder Lichtersee entsteht, und mit jedem Tag, an dem ich neue Kerzen dazustecke, werden die Wachshaufen größer,wachsen sich zu richtigen Burgen aus. Am letzten Tag ist meine Installation natürlich am schönsten, neun Lichter leuchten, flackern und tropfen bunt. Ruben findet, ich könnte dieses Feuer-Werk, mit einem kryptischen Titel aufgeladen, sehr gut in einem Jüdischen Museum oder besser gleich auf der Biennale in Venedig zeigen.
Die »verrückte Nudel«, die ich bei den »Leuten von Brzezan« in OUR Shul kennengelernt habe, hat uns zu einer Chanukka-Party eingeladen. Das Verrückteste stellt sich erst dort heraus: Wir hätten uns nämlich von Anfang an treffen sollen – sie hatte meine Telefonnummer und ich hatte ihre! Und zwar von einer anderen, einer Pariser verrückten Nudel, die uns beide in New York zusammenbringen wollte. Wir hatten bis jetzt nur noch keinen Gebrauch von den Nummern gemacht – sie nicht, weil sie wahrscheinlich zu busy war, und ich nicht, weil ich es albern fand zu sagen, hallo, ich komme aus Straßburg, und unsere gemeinsame Freundin, die verrückte Nudel aus Paris, hat gesagt, wir sollen uns anfreunden. Doch dann kam es, wie es in New York offensichtlich immer kommen muß: Wir trafen bei den »Leuten von Brzezan« zusammen, und jetzt, auf ihrer Chanukka-Party, als wir so über dies und das sprechen, fällt es uns wie Schuppen von den Augen: Ja, wir sind die Telefonnummern, die wir gegenseitig anrufen sollten! Was für ein Zufall!
Das Essen ist vegetarisch, erstens, weil die verrückte Nudel, so wie viele hier, die koscher essen, auch noch Vegetarierin ist, und zweitens, weil sie in der winzigen Küche nicht auch noch »fleischiges« Geschirr unterbringen könnte. Von den »Leuten aus Brzezan« sind hauptsächlich die mit den bunten Pullovern da, dazu noch ein paar andere, die sich durch ihren Look als »modern orthodox« zu erkennen geben. Als sie zu Beginn der Feierlichkeiten die Chanukkakerzen anzündet, setzt sich die verrückte Nudel für diese heilige Handlung eine Art Badehaube auf, die in Grün-Gelb-Rosa changiert und mir schon am Schabbes in der Schul großen Eindruck gemacht hat, als sie ihr Wort vortrug. Dann singen wir alle zusammen »Moaus Zur«, die sogenannte Chanukkahymne, »Zuflucht, meiner Hilfe Hort«, wie es im Gebetbuch meiner Großmutter umständlich übersetzt ist. Diese Hymne wird offensichtlich überall auf der Welt nach derselben marschliedartigen Melodie gesungen, von der das jüdische Lexikon mitteilt, das sie auf ein deutsches Volkslied zurückgeht und auch Luther zu einem Choral angeregt hat.
Früher nur ein Nebenfest, hat Chanukka seit der Gründung des Staates Israel als sozusagen zionistisches Fest eine steile Karriere erlebt. Sogar der Präsident der Vereinigten Staaten hat heute im Weißen Haus eine Menora entzündet und gemeinsam mit einem Chor junger Hebräer »Moaus Zur« gesungen, genau wie einige andere Gouverneureund Bürgermeister von Staaten und Städten mit großem jüdischen Bevölkerungsanteil; das haben wir vorhin noch im Fernsehen gesehen und fanden es ein bißchen peinlich. Wenn man bedenkt, daß die amerikanischen Universitäten, Harvard allen voran, noch bis tief in die 50er Jahre auf eine strenge Judenquote achteten, ist es natürlich eine erstaunliche Wendung der Dinge.
Nach der Hymne kommt der gemütliche Teil, eine Party eben, essen, trinken, sitzen, herumstehen, reden (aber natürlich nicht rauchen). Die bunten Pullover sind alle sehr links eingestellt, mir sind sie sogar ein bißchen zu links, ich fühle mich Welten von ihrer revolutionären Restromantik entfernt, vom Osten wissen sie gar nichts. Wie alle New Yorker, die ich getroffen habe, und auch die, die ich nicht getroffen habe, hassen sie natürlich Bush, der sich deswegen auch nie in New York blicken läßt. Sie gehen auf alle Demos, und wenn sie nicht gerade die letzte auswerten, bereiten sie die nächste vor.
Mein Nachbar in der Runde, der mir gerade
Weitere Kostenlose Bücher