Das unanständige Foto
»Das hier sieht ganz nach Stella Gawrilowna aus. Diese Hüften! Ich möchte sagen: fast unverkennbar. Und der Schwung des Leibes – ich weiß noch genau, wie mir durch Zufall ein Tablettenröhrchen von ihrem Nabel bis zwischen ihre Schenkel gerollt ist. Gelacht hat sie da, gelacht!«
»Das glaube ich auch.« Kasutin nagte an der Unterlippe. »Wie viele haben wir jetzt?«
»Genug, um zu verzweifeln«, sagte Babajew. »Es ist unmöglich, daß Jankowski mit allen so intim war, daß …«
»Warum nicht?« Dr. Lallikow hüstelte, was die Spannung noch hob. »Jankowski ist ein strammer Bursche. Zweiunddreißig Jahre alt. Ein Baum im besten Saft. Und wie lange weilt er schon in Nowo Korsaki? Na – bestimmt schon neun Monate. Liebe Genossen, was kann ein Mann wie Jankowski in neun Monaten alles leisten? Wir müssen alles in Betracht ziehen. Alles und alle. Diese Fotos beweisen: Jankowski ist ein hervorragender Kenner der Schönheit. Und die Frau, die er verewigt hat, ist es wert. Als Arzt habe ich genug Vergleichsmöglichkeiten, um zu urteilen: Das hier ist ein einmaliger Körper.«
»Und das in unserer Stadt!«
»Ja! Das sollte uns stolz machen!«
»Eine Venus ohne Kopf!«
»Den setzen wir ihr auf!« Dr. Lallikow wurde nun auch von einer Art Jagdfieber befallen. Er sah das ganze Problem sportlich: Eine Schnitzeljagd mit noch unbekanntem Ziel, die Entdeckung von Neuland; die Vollendung eines Puzzles. Die Aufgabe mußte zu lösen sein. »Zählen wir zusammen, was wir haben. Genosse Kasutin, schreiben Sie mit. Es kommen in Frage: Antonina Pawlowna Zwetkowa – Alla Filippowna Sitkina – Galina Iwanowna – Rimma Ifanowna – Stella Gawrilowna.«
»Und Dunja Sergejewna?« fragte Kasutin heiser.
»Auch. Muß ebenfalls auf die Liste.«
»Muß auf die Liste.« Kasutins Hand bebte, als er den Namen hinschrieb. Von seinem Nacken rann Schweiß in das Hemd und über den Rücken. »Und wie geht es jetzt weiter?«
»Wir fangen da an, wo es meistens endet: beim Friedhof.« Dr. Lallikow rieb sich die Hände. »Stella Gawrilowna arbeitet eng mit dem Popen zusammen. Es kann sein, daß Mamedow zufällig gesehen hat, daß Jankowski mit Stella über Gebühr lang gesprochen hat. Vielleicht hat er sie sogar im Gärtnerhaus besucht? Wir werden Väterchen Akif befragen.«
»Das bedeutet, daß wir den Popen einweihen müssen«, sagte Kasutin sauer.
»Er wird glücklich sein, Sünden in seiner Gemeinde zu entdecken. Außerdem bleiben wir unter uns: Ein Arzt, ein Priester, ein Fotograf und ein Parteisekretär sind die Vertrauten der Bürger. Wir sind die Klagemauer. Wir schlucken alles. Es wäre unfair, den Popen auszuschließen.«
»Er wird am wenigsten Auskunft darüber geben können«, sagte Kasutin abweisend, »wer die nackte Frau auf den Fotos ist.«
»Auch da hat man sich schon getäuscht.« Dr. Lallikow lächelte breit und fett. »Man soll keinen Menschen unterschätzen.«
Wer die Kirche betrat, ganz gleich, welche Stellung er im Leben einnahm und wie er hieß, kehrte Ehrfurcht heraus spätestens in dem Augenblick, in dem er Akif Victorowitsch Mamedow bemerkte. Wenn der Pope um die Ikonostase herumkam, im wallenden Gewand, mit abstehendem weißen Bart, mit dichten Brauen, feurigen Augen und einer Stimme, die eine Ahnung von den Auferstehungsfanfaren vermittelte, dann schlug jeder das Kreuz und kam in jene Stimmung, die Lenin mit einem Opiumrausch verglich.
Akif Victorowitsch, der an diesem Vormittag hinter der Ikonostase auf einem Schemel saß und zwei vergoldete Messingkreuze polierte, hörte mit Verwunderung die Kirchentür knarren. Er überlegte, wer wohl jetzt so von Sünde geplagt sein könnte, daß er priesterlichen Beistand nötig hatte, und legte den Putzlappen weg. Die Kirche von Nowo Korsaki war arm, sie konnte sich keinen Kirchendiener leisten, alles mußte Mamedow selbst machen, und wenn nicht einige alte Frauen freiwillig und für das Versprechen, in den Himmel zu kommen, den Boden aufgewischt, Staub weggewedelt und die Fenster poliert hätten, wären an Väterchen Akif auch diese Tätigkeiten noch hängengeblieben. Es war schon mühsam gewesen, für die Gottesdienste einen Vorsänger zu finden, denn die Alten waren nicht mehr kräftig bei Stimme, und unter den Jungen hetzte die Partei gegen den Popen und sagte ihnen, wer in die Kirche ginge oder sich sogar zum Vorsänger hergäbe, verrate den großen Vater Lenin und sei nicht würdig, in der Volksgemeinschaft ernst genommen zu werden.
Väterchen Akif
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