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Das unendliche Blau

Das unendliche Blau

Titel: Das unendliche Blau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annette Hohberg
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Stunden zurückzieht. Weiter hinten gibt es eine Küchenzeile. Herd, Spüle, einige Schränke und Holzregale.
    Mitten im Zimmer liegt ein Mann, eine schmale Matte unter sich. Er liegt auf dem Rücken, die Beine hinter dem Kopf auf dem Boden, die Hände am Rücken fest verschränkt. Er liegt nahezu bewegungslos da, nur kleine regelmäßige Wellen scheinen durch seinen Körper zu fließen.
    Martha tritt von einem Fuß auf den anderen; sie fühlt sich unbehaglich. Wie eine Fremde, die das Fenster zu einer Welt aufstößt, die nicht ihre ist. Sie lässt ihren Blick durch den Raum laufen, hängt ihn hier und da kurz auf, als wollte sie ihm Aufschub gewähren, um ihn am Ende doch wieder auf den Mann am Boden zu werfen.
    Der entfaltet langsam seine Hände, legt sie flach neben den Po und holt die Beine über den Kopf zurück. Er ruht kurz auf dem Rücken aus, bevor er mit einer schnellen Drehung zum Sitzen und gleich darauf zum Stehen kommt. Er ist barfuß, trägt eine hellgraue weite Baumwollhose und ein weißes, etwas ausgeleiertes T-Shirt, das muskulöse Oberarme ahnen lässt. Martha ertappt sich dabei, wie sie auf diese Arme sieht.
    »Hallo. Du musst Martha sein …« Er streckt ihr seine Hand entgegen, und während sie den festen Druck registriert, denkt sie, dass sein Deutsch auch diese leicht österreichische Färbung hat, die sie bereits von Francesca kennt.
    »Ja.«
    Er sieht sie neugierig an. Er hat blaue Augen. Ein Blau, das ohne Zwischentöne auskommt. Ein unverfälschtes Blau. Da ist kein verbindliches Lächeln, das ihr Brücken baut. Nur diese unverhohlene Neugier im Blick.
    Sie rettet sich, indem sie Neugier zurücksendet, die dunklen, leicht strähnigen Locken taxiert, die er mit einem Gummiband im Nacken zusammengebunden hat. Die Bartstoppeln, die eine gewisse Nachlässigkeit bei der Rasur verraten. Die Hände, die er vor der Brust verschränkt und leicht massiert. Er ist etwas kleiner als sie.
    »Francesca hat mir von dir erzählt.« Er überspringt einfach irgendwelche Höflichkeiten, hält sich mit förmlicher Anrede gar nicht erst auf.
    Sie spürt eine leichte Irritation und spielt das unvermittelte Du trotzdem oder vielleicht gerade deshalb sofort zurück. Wie einen Ball, der beim Tennis dort übers Netz geht, wo man es am wenigsten erwartet und den man deshalb mit Entschlossenheit pariert. »Was hat sie dir denn erzählt?«
    »Sie meinte, dass ihr in Triest einen sehr intensiven Tag hattet.«
    »Stimmt, ja …« Sie merkt, dass sie nicht weiß, wohin mit ihren Händen. Die Rechte hält den Schultergriff ihrer Handtasche umklammert, während die Linke sich in den kaum vorhandenen Falten ihres Kleides zu schaffen macht, als müsste sie dort Ordnung schaffen.
    Er geht zu den Fenstern und öffnet eines. Danach wendet er sich Richtung Küche. »Kaffee?«
    Sie nickt.
    Er holt eine dieser kleinen Handmaschinen aus einem Regal, schraubt sie auf, lässt Wasser in den unteren Behälter laufen, gibt Kaffee in den Einsatz und dreht alles wieder zu. Er zündet den Gasherd an, achtet darauf, dass die Flamme nicht zu groß ist, und setzt das Gerät auf das Gitter.
    Sie beobachtet jeden seiner Handgriffe. Dieses sezierende, journalistische Interesse, das sie ihm und sich hier vortäuscht, ist letztlich nichts als Ablenkung von etwas, das sich fremd anfühlt. Etwas, das sie nicht zulassen will.
    Er greift nach zwei kleinen braunen Tassen, stellt sie auf Unterteller, legt Löffel und Papiertütchen mit Zucker daneben.
    Sie sagen beide nichts, während das Wasser in der Maschine leise zu brodeln beginnt.
    Als der Kaffee fertig ist, verteilt Michele ihn auf die beiden Tassen und schiebt Martha eine über den Tisch, der die Küche vom Wohnraum trennt. Ein Laptop steht dort, daneben liegen zwei Bleistifte, ein stark abgenutztes Radiergummi und viele eng bedruckte Blätter mit handschriftlichen Korrekturen.
    Martha reißt das Zuckertütchen auf und rührt den Inhalt in ihren Espresso. »Was war das da eben?« Sie deutet auf die Matte am Boden.
    Er lacht. Das erste Mal in den gut zehn Minuten, die sie nun hier ist, lacht er. Ein Lachen, das kurz aufblitzt und von einem amüsierten Zucken der Mundwinkel begleitet wird. »Das war der Pflug.«
    »Aha.«
    »Ein Asana, das ich ganz besonders gern mag.«
    »Asana?«
    Er trinkt einen Schluck Kaffee. »Du kennst dich nicht aus mit Yoga, hab ich recht?«
    Sie spürt, dass sie rot wird. Sie schüttelt den Kopf und kommt sich wie ein Schulmädchen vor.
    »Eine ungewöhnliche

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