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Das unendliche Blau

Das unendliche Blau

Titel: Das unendliche Blau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annette Hohberg
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die Tür stemmen.
    Drinnen ist es dunkel. So dunkel, dass sich die Augen erst daran gewöhnen müssen. Martha geht auf eine breite Steintreppe zu, die in den ersten Stock führt. Langsam steigt sie die Stufen hinauf. Dabei registriert sie ein kleines, rasselndes Keuchen, das aus ihrem Brustkorb kriecht und ein paar Schweißperlen mitbringt, die sich auf Stirn und Nasenflügel setzen.
    Sie bleibt stehen, hält sich mit der rechten Hand am Geländer fest und wischt sich mit der linken über das Gesicht. Zwei, drei Minuten holt sie tief Luft, dann setzt sie ihren Weg nach oben fort. Dort zeigt ein kleines Schild, dass sie richtig ist. Auch hier drückt sie einen Klingelknopf, und auch diesmal antwortet ihr ein Surren. Es ist ein Gitter, das sich daraufhin öffnet.
    Drinnen empfängt sie Stimmengewirr. Es muss gerade Pause sein. Frauen und Männer unterschiedlichen Alters stehen herum, halten weiße Plastikbecher mit Kaffee oder Wasser in der Hand und reden durcheinander. Martha schnappt englische und italienische Wortfetzen auf. Von irgendwoher dringen auch ein paar deutsche Sätze zu ihr.
    Der Flur ist eng und verwinkelt, von allen Seiten führen Türen in Unterrichtsräume, die mit altem Mobiliar spärlich eingerichtet sind. Holztische, Stühle aus Stahlrohr, die Lehnen mit stark verblichenem roten Stoff überzogen, eine Tafel mit Schwamm und Kreide, ein paar Bilder an Wänden, die lang nicht mehr gestrichen worden sind. Leitungen über Putz, hier und da blättert die Farbe ab.
    Neben einem Kaffeeautomaten, der die weißen Plastikbecher auswirft, führt eine steile Wendeltreppe ein Stockwerk höher. Die schmalen, ausgetretenen Holzstufen parieren jeden Schritt mit leichtem Knarzen. Oben auf der Empore stehen ein paar alte Polstersessel, dahinter einige Computer, die jetzt alle besetzt sind. Die meisten der Leute schreiben Mails. Links von der Treppe hat jemand mit der Hand auf ein Schild »Segretariato« geschrieben; Martha klopft vorsichtig an die halb geöffnete Tür und sieht hinein.
    Eine junge Frau mit kurz geschnittenen schwarzen Haaren winkt sie zu sich. Sie trägt violett lackierte Fingernägel, und sie lacht.
    »Prego.« Sie macht eine ausladende Handbewegung und deutet auf einen Stuhl vor ihrem Schreibtisch, auf dem diverse Bücher, Aktenordner, Papiere und Stifte durcheinanderliegen.
    Martha fragt, ob sie Englisch reden dürfe.
    »Si, si.« Die Frau nickt. »I’m Ornella.«
    Sie wolle einen Kurs hier machen, erklärte Martha.
    Ornella zieht ein Formular von irgendwoher heraus, und mit ihren violetten Nägeln zeigt sie, wo Name, Anschrift, Geburtsdatum eingetragen werden müssen. Ob Martha schon Grundkenntnisse habe, fragt sie.
    Die schüttelt den Kopf, nimmt sich einen Kugelschreiber und beginnt, ihre Angaben in den dafür vorgesehenen Kästchen zu machen.
    »Es gibt trotzdem einen kleinen mündlichen Einstufungstest, und dann weisen wir Sie einer unserer Klassen zu. Wollen Sie einen Intensivkurs machen?«
    »Was heißt das?«
    »Grammatik und Konversation. Jeden Tag vormittags vier Stunden Unterricht. Am Nachmittag fallen dann noch mal etwa zwei Stunden Hausaufgaben an.«
    »Ehrgeiziges Programm.«
    »Na ja, Sie wollen ja schließlich was lernen, oder? Wie lange bleiben Sie?«
    »Ach … das weiß ich noch nicht so genau.«
    »Kein Problem. Dann zahlen Sie erst mal für zwei oder drei Wochen. Verlängern können Sie jederzeit.«
    »Ich zahle für vier Wochen.«
    »Also doch etwas länger. Sehr gut. Wo wohnen Sie denn in Bologna? Kennen Sie jemanden?«
    »Ja, ich bin hier gleich mit ihr verabredet.« Martha sieht auf die Uhr.
    »Hier? Wer ist es denn?«
    »Francesca.«
    »Warum haben Sie das nicht gleich gesagt? Sie kennen Francesca? Woher denn?«
    »Wir haben uns vor ein paar Monaten in Triest getroffen. Sie hat mir von dieser Schule hier erzählt, und, tja, da bin ich.«
    »Wann sind Sie angekommen?«
    »Gestern. Ich bin erst mal in ein Hotel gegangen.«
    »Ach, Francesca kennt halb Bologna. Sie werden was zum Wohnen finden.«
    Martha schiebt das Formular über den Tisch zurück und bezahlt die Gebühr für den nächsten Monat. »Wo finde ich Francesca jetzt?«
    »Moment.« Ornella greift zum Telefonhörer – es ist noch ein altmodischer, der an einer Schnur hängt, die sich heillos um sich selbst gewickelt hat. Sie wählt eine Nummer und sagt schnell etwas in den Hörer, dann legt sie auf. »Sie kommt gleich«, erklärt sie. »Sie können hier so lange warten. Wollen Sie einen Kaffee?«
    »Nein

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