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Das unendliche Blau

Das unendliche Blau

Titel: Das unendliche Blau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annette Hohberg
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schüttelt den Kopf, sieht sich nach einem Papierkorb um und wirft das Kleenex-Knäuel hinein.
    »Okay, dann lade ich dich jetzt ein.« Sie steht auf. »Essen rettet jede Lebenslage.«
    »Guter Satz.«
    »Ist nicht von mir. Michele sagt das immer, und ich finde, er hat recht.«

[home]
    8
    S ie braucht etwas Zeit, um die Hausnummer zu finden. Genau genommen gibt es keine Nummer an diesem Haus. Sie geht ein Stück zu weit, steht vor einem Copyshop mit der Nummer  38 . Sie läuft ein paar Schritte zurück.
    36 B, hat Francesca beim Mittagessen gesagt, nachdem sie ihren Bruder angerufen hat, und sie hat die Zahl auf den Kassenbon eines Supermarkts geschrieben. Wie vor ein paar Monaten in Triest. Als hätte sie eine unendliche Anzahl an Kassenbons in ihrem Portemonnaie, das braun und etwas ramponiert aussieht.
    Martha steht vor einer dunklen Toreinfahrt. Ein Mann auf einer Vespa schießt heraus; mit der linken Hand klappt er das Visier seines Helms herunter, während er mit der rechten ungeduldig den Gashebel hochdreht. Erschrocken springt sie zur Seite. Der Mann hebt die Helmhand und winkt ihr zu.
    Sie sammelt sich von irgendwoher ein Lächeln zusammen, doch es gerät dünn.
    Sie fühlt sich auf einmal fremd in dieser Stadt. Was will ich hier?, fragt sie sich, während sie durch die Einfahrt geht und nach Klingelschildern Ausschau hält.
    Ein Hinterhof tut sich auf; durch ein blaues Himmelsquadrat fällt etwas Licht herein. Einige Blumenkübel mit Oleanderbüschen, verrostete Konservendosen, in die irgendjemand blassrosa Geranien und Petunien gepflanzt hat, ein Olivenbaum, der seine wenigen Blätter fast trotzig festhält, ein alter Vogelkäfig, dessen Türchen weit offen steht, als wollte er neue Insassen einladen hereinzukommen, Rasen und Unkraut zwischen porösem Mauerwerk, ein Ball, den Kinder beim Spielen vergessen haben, ein Karton, in dem ein kleines Kissen liegt, wahrscheinlich, um es streunenden Katzen bequem zu machen.
    Zwei Türen gehen auf den Hof hinaus. An der einen stehen sieben Namen; der von Michele ist nicht darunter. Martha wendet sich der anderen zu, die einen Spaltbreit offen steht.
    Sie klopft, und als niemand antwortet, drückt sie vorsichtig dagegen.
    Ihre Augen müssen sich erst an das schummrige Licht drinnen gewöhnen. Sie erkennt eine Kommode, auf der ein paar Bücher und Schlüssel liegen, und einen Stuhl mit einer dunkelblauen Strickjacke über der Lehne. Die Wände des Flurs sind weiß gekalkt, der Boden besteht aus groben Dielenbrettern, in einer Ecke stapeln sich ein paar Zeitungen, zwei leere Weinflaschen stehen daneben.
    »Ist da jemand?«, versucht sie ein Rufen. Es wird eher ein Flüstern.
    Niemand antwortet.
    Durch eine Tür am Ende des Korridors hört sie Musik. Irgendein alter Stones-Song.
Out of Time
 … Ja, sie erinnert sich wieder, es ist eines dieser Lieder, die sie durch ihre Jugend begleitet haben und die irgendwann in den Keller gewandert sind, weil man keinen Plattenspieler mehr hatte und weil das Leben einen in eine andere Zeit katapultierte. Sie hat sich gefügt, wie sie das immer mit allem getan hat. Sie nickte die Gegebenheiten ab und ließ das Nachdenken darüber einfach sein. Manchmal sind sie gekommen, die Träume von einst, und setzten sich nach dem zweiten Glas Rotwein zu ihr aufs Sofa. Na, kannst du dich noch an uns erinnern?, schienen sie zu fragen, und sie zuckte bedauernd mit den Schultern. Nach dem dritten Glas traten ihre Träume den Rückzug an, als sei hier nichts mehr zu holen.
    Nun folgt sie dem, was ein junger Mick Jagger zum Besten gibt, und klopft an die Tür am Ende des Korridors, die einen Spaltbreit offen steht.
    »Si?«
    Sie zuckt zusammen, sieht dann aber hinein. Ein riesiger Raum mit hohen Fenstern an der rechten Seite, durch deren Scheiben die Nachmittagssonne eine Überdosis Licht schickt. An den Wänden unzählige Schwarzweißfotos in Großformat, Tänzer sind darauf abgebildet und Zirkuswagen und Clowns und Menschen, die mit Kegeln jonglieren. Es gibt auch Bilder von alten Autos und Schildern und andere, auf denen leere Straßenzüge zu sehen sind.
    Auch hier drinnen wieder der Bretterboden, wie an Deck eines alten Schiffs. Zwei mit rotem Samt überzogene Sofas stehen gegenüber der Fensterfront, davor ein flacher runder Tisch mit ein paar halb heruntergebrannten Kerzen. Daneben eine große Stehlampe mit goldgelbem Schirm, die darauf zu warten scheint, dass die Sonne draußen irgendwann ihren Dienst quittiert und sich für ein paar

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