Das unendliche Blau
Micheles flachen Bauch, auf dem sich ein paar Muskelstränge abzeichnen, und dann ihren, der sich in den letzten Jahren sanft gerundet hat. Für Momente meldet sich ihr Verstand, um ihr vorzuhalten, dass sie zu nachlässig mit sich gewesen ist. Doch dann spürt sie Micheles Blick, und sofort treten die halbherzigen Bedenken den Rückzug an. Seine Augen nehmen jeden Millimeter ihres Körpers in Besitz, und sie tun das mit einer Intensität, die nur ein Ziel kennt – Martha wissen zu lassen, dass sie schön ist.
Sie sagen nichts. Kein Wort hat hier mehr Platz, in diesem Zimmer, das nur von ein paar Kerzen erleuchtet ist, denen der Halbmond von draußen seine Zugaben macht. Sie wissen, dass sie alles wollen. Keine halben Sachen. Und dieses Wissen gibt ihnen Zeit, hebt Eile auf, lässt Momente zu Ewigkeiten werden.
Es dauert fast eine Stunde, bis er ihr den BH -Träger löst, da schmerzen ihre Brüste bereits. Ein Schmerz, der jeden einzelnen Nerv mit Hochspannung versieht. Sie gibt Laute von sich, unbekannte Laute, Laute, die sie von sich nicht kennt. Ihm scheint das zu gefallen, denn seine Finger werden übermütiger, lassen sich auf immer neue Wagnisse ein, spielen sich frei.
Irgendwann fährt sie mit der Hand unter seinen Slip, fühlt einen festen Hintern, umkreist die Pobacken, begibt sich kurz in Zwischenräume, bis sie den Weg nach vorn antritt und dort spürt, was sie selbst will. Kein Warten mehr. Nun ist es eine Sache von Sekunden, dann sind sie beide völlig nackt.
Martha lehnt sich zurück, stützt die Ellbogen auf den Boden, während sie ihre Beine um Michele legt und ihn dann in sich hineintauchen lässt. Sie verstehen sich. Lassen los. Freier Fall. Ohne Sicherheitsnetz. Marthas erster Orgasmus ist fast augenblicklich da. Danach lassen sie sich Zeit, geben sich Raum. Spüren den Wellen nach, die sie in sich auslösen, kleinen und großen. Manchmal öffnen sie die Augen, um sich anzulächeln, als wollten sie sich vergewissern, dass sie noch da sind, beieinander, ineinander. Als Martha zum zweiten Mal kommt, haben sie bereits die Unendlichkeit erreicht; und dann gibt er ihr, was er bis dahin zurückgehalten hat. Gibt alles her. Und holt sich im selben Moment alles ab.
Sie bleiben liegen, ohne sich voneinander zu lösen. Einige Minuten liegen sie einfach so da, spüren nach, fühlen, wie der Schweiß, der sich auf ihren Körpern gebildet hat, langsam verdampft.
Es ist Michele, der sich irgendwann aufrichtet und Martha das Haar aus der Stirn streicht. »Magst du bei mir schlafen heute Nacht?«
Sie nickt.
Er steht auf, reicht ihr die Hand und zieht sie langsam hoch. Erst jetzt merkt sie, was der harte Boden mit ihrem Rücken gemacht hat. Sie streckt sich und verzieht dabei das Gesicht.
»Keine Übung?«, fragt er lachend.
Sie lacht zurück. »Woher auch?«
»Wenn du magst, zeige ich dir in den nächsten Wochen ein paar Asanas.«
In den nächsten Wochen … Die vier Worte sind wie nebenbei gefallen, doch sie holen Martha augenblicklich zurück. Plötzlich steht wieder da, was sie in den letzten Stunden einfach vergessen hat. Die nächsten Wochen. Sie hustet.
»Was ist los, Martha?« Er greift nach einer Wolldecke, die auf dem Sofa liegt, und legt sie ihr um die Schultern.
»Nichts. Es ist nichts.« Sie weiß, wie halbherzig das klingt. Aber die Wahrheit, ihre Wahrheit, hat hier nichts verloren.
Michele führt sie zu einer Tür hinter der Küche, öffnet sie und drückt drinnen auf einen Lichtschalter. Eine Lampe geht an. Eine Wandlampe mit blauem Schirm.
Es steht nur ein Bett in dem Raum. Ein großes Bett mit vielen blauen Kissen darauf. Am Kopfende ein Foto. Menschen in leichter Unschärfe. Spaziergänger, die auf den Betrachter zukommen, schlendernd, plaudernd. Es ist ein schönes Foto. Eines, das Lust macht, sich treiben zu lassen.
»Gefällt mir.« Martha zeigt auf das Bild.
»Hat ein Freund gemacht.« Er schlägt die Decke zurück und lässt sie darunterschlüpfen.
Die Bettwäsche riecht ganz leicht nach Parfum. Einem Parfum, das eher Frauen benutzen. Sie weiß auch nicht, warum sie das plötzlich zum Lächeln bringt.
Er lächelt zurück. Dann geht er noch einmal hinaus, um die Kerzen auszupusten, eine Flasche Wasser und zwei Gläser zu holen.
Sie schläft gut in dieser Nacht. Es schläft sich gut in seinen Armen.
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12
D er Klassenraum ist klein und eng. Ein winziges Fenster an der Stirnseite lässt Licht herein. Davor eine alte Tafel. An den Wänden gerahmte Fotos,
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