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Das unendliche Blau

Das unendliche Blau

Titel: Das unendliche Blau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annette Hohberg
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Geschichte.
    Er lächelt plötzlich, und dann erzählt er, was Lina bereits weiß. Erzählt von dieser Zugfahrt. Köln–Hamburg. Martha kam von einem Interview, das in die Hose gegangen war. Hans hatte gerade einen seiner ersten großen Aufträge an Land gezogen. Es war ein Spätzug, der letzte, der an diesem Abend ging. Sie saßen sich gegenüber in einem dieser Sechser-Abteile und fuhren hinein in die Nacht. Erst schweigend, aber irgendwann berichtete sie ihm von dem blöden Typen, der sich erst um eine Stunde verspätet und sie dann im Interview einfach ins Leere hat laufen lassen. Hans war gut drauf in dieser Nacht, und er konnte Martha aufmuntern.
    »Als wir frühmorgens in Hamburg ankamen«, sagt er, während er noch immer lächelt, »hatte ihre Stimme einen anderen Klang. Und ich hatte eine Freundin.«
    »Ihr seid an der Alster spazieren gegangen, oder?«
    »Ja, bis es hell wurde. Wie das eben so ist, wenn einem jemand ins Leben fällt und man von einer auf die andere Sekunde meint, nicht mehr ohne ihn existieren zu können. Gott, war ich verliebt.«
    »Sie auch.«
    »Sie war eine wunderschöne Frau, deine Mutter. Sie hat sich nur über die Jahre ein anderes Gesicht zugelegt und einen anderen Ton. Sie wurde kantiger, schroffer, unzugänglicher, jedes Jahr ein wenig mehr, ohne dass ich irgendetwas tun konnte. Und eben am Telefon war es plötzlich wieder da, das Mädchen aus dem Zug.«
    »Warum hast du ihr das nie gesagt? Warum hast du ihr nicht geholfen, das Leben leichter zu nehmen? Warum hast du ihre Strenge nicht einfach öfter mal weggelacht? Du hast doch Humor. Wo war er, dein Humor?«
    »Ach, Lina, du ahnst nicht, wie oft ich’s versucht habe.«
    »Aber wie es aussieht, warst du ja nicht besonders erfolgreich.«
    »Ich war auch ungeduldig. Ich wollte immer mit dem Kopf durch die Wand, mich dabei aber nicht sonderlich anstrengen. Ich hab sehr schnell alles hingeworfen, wenn jemand anders Regeln vorgab, die mir nicht in den Kram passten. Ich wollte ein gutes Leben, ein leichtes Leben und keinen Haufen Probleme. Ich wollte Luftballons im Dauer-Abo. Mit Martha war das nicht zu machen. Und weil ich ein verdammter Idiot war, hab ich mich selbst bemitleidet, statt zu schauen, was wirklich los war.«
    »Und hast lieber die Familie verlassen. Nein, keine Sorge, ich fang nicht wieder damit an.« Sie beginnt, das Geschirr zusammenzuräumen. Lautstark. Teller auf Teller. Tasse in Tasse. Besteck daneben.
    Er setzt den Deckel vorsichtig auf den Buttertopf und schraubt das Marmeladenglas zu.
    »Lina?«
    Sie sieht hoch.
    »Was hältst du davon, wenn wir zusammen nach Bologna fahren und deine Mutter besuchen?«
    Sie lässt die Hände sinken. »Das würdest du tun?« Ihre Stimme ist unsicher. Diese Unsicherheit ist noch immer da und macht Störgeräusche. Noch immer glaubt die Tochter insgeheim, ihr Vater könnte nicht Wort halten.
    »Ja. Ich würde dich ungern allein fahren lassen. Und außerdem … es gibt auch für mich noch das eine oder andere zu begreifen in dieser Geschichte.«
    Lina steht auf und trägt das Geschirr zur Spüle. Und während sie heißes Wasser über Tassen und Teller laufen lässt, überlegt sie bereits, wie es wäre, nach Italien zu fahren. Allein diese Gedanken setzen in ihr etwas frei, das besser ist als die quälende Untätigkeit der letzten Tage. Die Lähmung, die sie seit Marthas Verschwinden fest im Griff hat, die sie nächtelang an ihre Zimmerdecke starren ließ, unfähig, irgendetwas zu tun, beginnt sich in genau diesem Augenblick aufzulösen.
    Sie wird die Kisten für Martha packen. Sie wird Zimmer für Zimmer, Schrank für Schrank, Schublade für Schublade durchgehen. Sie wird Bücher und Fotoalben in die Hand nehmen. Vielleicht wird sie sogar anfangen, ein bisschen zu entrümpeln, das alte Schlauchboot in der Garage endlich vom Haken holen oder überlegen, was sie von ihren Spielsachen noch braucht. Sie wird sicher mehr als nur einmal an ihre Grenzen stoßen. Aber sie wird nicht allein sein.
    »Womit fangen wir an?«, fragt sie Hans.
    »Wir fragen mal, was es kostet, so einen kleinen Container nach Italien zu schicken.«
    Und dann greift er zum Telefon, ruft die Auskunft an und lässt sich mit der Deutschen Bahn verbinden.

[home]
    14
    S ie geht schnell über die Piazza Maggiore. Wirft einen Blick auf Glockenturm, Rathaus, Brunnen, Kathedrale. Da ist kein Staunen mehr über das, was vor dieser Kulisse allabendlich seine Vorstellung gibt. Kein Staunen wie beim ersten Mal vor fünf

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