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Das unendliche Blau

Das unendliche Blau

Titel: Das unendliche Blau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annette Hohberg
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Tanne zurück. Ihr Blick sucht den Vater. »Es tut mir leid, Papa«, sagt sie leise.
    »Was?«
    »Das war nicht okay. Ich meine diese Besuchstage.«
    »Du warst ein Kind damals. Ein verunsichertes Kind.« Er holt tief Luft. »Und irgendwie bist du das immer noch.«
    »Was heißt das?« Ihre Stimme wird wieder härter.
    »Na ja, die Trotzphase dauert an, würde ich sagen.«
    »Verstehst du denn nicht? Ich wollte Mama nicht verletzen.«
    »Klar. Und jetzt bockst du herum, weil eben diese Mama dich allein lässt. Weil sie sich einen Teufel darum schert, was hier los ist. Weil sie einfach tut, was ihr gefällt.«
    »Das scheint dir ja fast zu gefallen.«
    »Du meinst, dass deine heilige Mutter ein paar Schrammen bekommt?«
    »Rede nicht so von ihr.«
    »Ich sage, was ich will, ob’s dir nun passt oder nicht. Du musst ja nicht gleich mit wehenden Fahnen von deiner Mutter zu mir überlaufen. Das verlange ich doch gar nicht von dir.«
    »Das wird dir auch nicht gelingen.«
    »Ich möchte nur, dass du begreifst, dass die Dinge oft nicht so sind, wie sie scheinen.«
    Sie schweigt eine Weile. Nur ihre Kiefer bewegen sich, während sie ihre Backenzähne übereinanderschiebt.
    »Bist
du
Mama eigentlich böse gewesen damals?«, fragt sie dann.
    Er lacht, und das Lachen klingt bitter. »Hey, ich hatte in diesem Leben nicht mehr damit gerechnet, dass du mir mal so eine Frage stellst. Ja, Lina, ich war deiner Mutter böse. Ich war wütend. Um ehrlich zu sein, wusste ich nicht, wohin mit meiner Wut. Nachdem das mit uns nicht mehr ging, hat sie mir das weggenommen, was mir am wertvollsten war: dich.«
    »Und was war mit Karin?«
    »Ach, Karin war eine wunderbare Frau. Gut, ich hatte in den letzten Jahren meiner Ehe einige Affären. Deine Mutter war wie ein Fels in der Brandung, aber ein Fels ist hart, und man kann sich ganz schön an ihm stoßen. Also bin ich ausgewichen. Hab mich von anderen in den Arm nehmen lassen. Doch Karin hat mehr getan als das.«
    »Warum seid ihr nicht zusammengeblieben?«
    »Weil sie es irgendwann nicht mehr ausgehalten hat mit mir. Weil ihr mein Selbstmitleid zu viel geworden ist. Weil ich damals nicht kapiert habe, dass eine Frau nicht nur aus einer Schulter besteht, an der man sich ausweinen kann.« Er schüttelt den Kopf. »Sie hat dich übrigens sehr gemocht.«
    »Ich sie auch.«
    »Wirklich?«
    »Sie hat mir dieses Buch geschenkt. Ich fand’s toll, und als Mama wissen wollte, von wem es sei …«
    »… hast du ihr erzählt, du hättest es dir von einer Freundin ausgeliehen, ich weiß. Aber sie hat dir nicht geglaubt, Lina, und mir hat sie die Hölle heißgemacht und damit gedroht, die Besuche zu streichen, wenn Karin dich noch einmal trifft, geschweige denn dir irgendwelche Geschenke macht.«
    Sie erwidert nichts. Tief drinnen spürt sie, dass er die Wahrheit sagt, aber sie wirkt nach, die über all die Jahre gewachsene Loyalität ihrer Mutter gegenüber. Sie kann diese Loyalität nicht einfach so abwerfen, sie zum Schleuderpreis hergeben.
    Sie atmet geräuschvoll aus. »Wir haben über all das nie geredet, Papa«, sagt sie schließlich.
    »Manche Dinge müssen eben ein bisschen … nun ja, abhängen, bevor man sich an sie herantraut.«
    Sie nickt. »Ich mach uns mal Frühstück.«
    Sie steht auf und geht zur Tür, und sie lächelt dabei. Aber sie hat ihm bereits den Rücken zugewandt, so dass er ihr Lächeln nicht sehen kann.
     
    Am Küchentisch reden sie weiter. Sie reden jetzt über Belangloses. Über alte Nachbarn, die noch immer hier in der Straße wohnen. Über deren Kinder, die inzwischen das Haus verlassen haben. Über Scheidungen und Todesfälle. Über ein paar neue Läden, die unten in der Fußgängerzone aufgemacht, und ein paar alte, die inzwischen geschlossen haben. Sie lassen das Gespräch dahinlaufen, passen auf, dass es sich nicht in unwegsames Gelände verirrt. Eine stillschweigende Übereinkunft, die heißen Eisen vorerst nicht mehr anzurühren.
    Es ist Hans, der irgendwann sagt: »Gib mir mal die Nummer deiner Mutter.«
    Lina greift nach ihrer Handtasche und holt ihr Handy heraus.
    Er steht auf und nimmt das Telefon von der Ladestation, setzt sich wieder und tippt die Zahlen ein, die sie ihm vorliest. Er tippt schnell.
    »Ich bin’s, Martha«, sagt er kurz darauf.
    Linas Blick beobachtet ihn, als könnte sie in seinen Augen lesen, was die Mutter am anderen Ende der Leitung erwidert. Doch die Augen zeigen nur ab und an ein winziges Flackern, während Hans mit der freien Hand

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