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Das unendliche Blau

Das unendliche Blau

Titel: Das unendliche Blau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annette Hohberg
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Husten ihrer Mutter verband sich mit dem Rauschen. »Ja. Sehr sogar. Um wie viel Uhr seid ihr da?«
    »Um kurz nach drei. Ich mail dir die genaue Ankunftszeit noch.«
    Sie legte den Hörer auf. Hans sah seine Tochter an. Sie zuckte mit den Schultern. »Ich weiß nicht, Papa«, sagte sie leise.
    »Was weißt du nicht?«
    »Ob sie sich freut.«
    »Ich bin sicher, das tut sie.«
    »Und was macht dich da so sicher?«
    »Ich kenne deine Mutter.«
    »Ach ja?«
    »Ich war immerhin recht lange mit ihr verheiratet.«
    »Und du meinst, das prädestiniert dich dazu, noch heute ihre Gedanken zu lesen?«
    »Weißt du was, Lina?«
    Sie hob die Augenbrauen. Das war ihre Art, Fragen zu stellen.
    »Du bist ihr nicht unähnlich«, antwortete er.
    Lina stand auf und stellte das Telefon auf das Rattantischchen, dorthin, wo es schon immer gestanden hatte, neben die Telefonbücher und die blaue Glasvase aus Murano, in der ein paar blasse Hortensien standen, die Martha im letzten Sommer getrocknet hatte. Sie hatten Staub angesetzt.
    Um kurz nach sieben bestiegen Lina und Hans in München den Zug nach Italien. »
Roma Termini«
stand auf der Anzeigetafel. Sie saßen in einem Sechser-Abteil, zusammen mit einem Mann, der angestrengt in seinen Laptop schaute, und einer älteren Frau, die in Innsbruck Salami- und Käsebrote aus einer hellblauen Plastikbox holte. Sie bot den anderen Mitreisenden von ihren Broten an. Der Mann mit dem Laptop und Lina schüttelten den Kopf. Hans bediente sich und lächelte und sagte »
Grazie«.
Die Frau lächelte zurück.
    Als der Zug über den Brennerpass fuhr, schob Lina das Abteilfenster herunter und lehnte sich hinaus. Die Luft war frisch, sie kündigte bereits den Winter an. Es würde bald schneien hier oben.
    Linas Blick fiel jetzt auf die alten Schilder: »
Passo del Brennero«.
Die Grenzhäuschen waren nicht mehr besetzt. Keine Beamten, die Ausweise kontrollierten. Niemand, der Autos anhielt, um in Kofferräume zu schauen. »
Italia«
stand auf einem großen blauen EU -Schild, dem mit den vielen Sternen, die sich im Kreis drehen. Dann rollte der Zug wieder abwärts, Richtung Vipiteno, Bressanone und Bolzano.
    Hinter ihrem Rücken hörte sie Hans mit der älteren Frau reden. Sie unterhielten sich auf Italienisch. Lina schloss das Fenster mit einem energischen Ruck. Dann drehte sie sich um und setzte sich neben die beiden. »Worum geht’s?«, fragte sie.
    »Um die unterschiedliche Qualität von Salami und Schinken«, erklärte Hans.
    »Seit wann sprichst du Italienisch?«
    »Ich hab’s während meines Studiums gelernt. Damals war ich ein Vierteljahr in Rom.«
    »Das hab ich gar nicht gewusst.«
    »Du weißt vieles nicht.«
    Sie nickte. »Woher auch? Wir haben in unserem Leben ja kaum miteinander geredet.«
    »Mir scheint, daran ändern wir gerade etwas, oder?« Er zwinkerte ihr zu.
    Sie gab ihm recht, aber sie sagte nichts. In diesem Moment war sie froh, dass er sie auf dieser Fahrt begleitete, aber auch das behielt sie für sich. Stattdessen fragte sie, was es denn mit der Salami und dem Schinken auf sich habe.
    Hans lehnte sich zurück und begann einen Vortrag zu halten; das hatte er früher schon gern getan, erinnerte sich Lina plötzlich wieder, und sie hatte ihm gern zugehört. Früher hatte er ihr was von Hexen und Trollen und Geistern erzählt. Jetzt redete er von San Daniele und Prosciutto di Parma, von Coppa und Culatello, von wildem Fenchel in Wildschweinsalami und von der Größe einer echten Bologneser Mortadella. Seine Hände redeten mit, und die ältere Frau neben ihm nickte beifällig, obwohl sie kein Deutsch verstand.
    Als der Zug in Bressanone hielt, nahm Lina doch ein Sandwich von ihr an. Die Salami darauf schmeckte wirklich nach Fenchel, wie ihr Vater gerade gesagt hatte. Bei Martha hatte es immer nur typisch deutschen gemischten Aufschnitt gegeben – Gelbwurst, Schinkenwurst, Mettwurst. Meist eingeschweißt, aus dem Supermarkt. Ihre Mutter verwendete nie viel Zeit aufs Einkaufen. Was sie kochte, musste schnell gehen.
    »Martha hat diese italienischen Sachen gemocht«, sagte Hans, als könnte er die Gedanken lesen, die seiner Tochter gerade durch den Kopf liefen, und sie weiterspinnen, indem er eine neue Farbe zugab, die auf einmal neue Muster erkennen ließ.
    Lina sah ihn fassungslos an.
    »Ich hab uns damals oft was aus Hamburg mitgebracht. Dort gab es bessere Feinkostläden und Märkte als in dem Kaff, in dem wir wohnten.«
    Lina runzelte die Stirn.
    »Ich hab’s geliebt, mit

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