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Das unendliche Blau

Das unendliche Blau

Titel: Das unendliche Blau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annette Hohberg
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weißt, ich …«
    »Ich weiß«, schneidet sie ihm das Wort ab. »Ich hab eigentlich nichts anderes erwartet.« Sie lächelt noch immer, während sie das sagt, und sieht ihn direkt an.
    Er lächelt zurück. Ein Lächeln, das versucht, sich warmzulaufen.
    Lina sieht überrascht vom Vater zur Mutter. Dann öffnet sie die Beifahrertür und setzt sich ins Auto. Hans nimmt hinter ihr Platz.
    Als Martha den Wagen startet und sich langsam zwischen den anderen Autos auf dem Bahnhofsvorplatz den Weg zur Ausfahrt bahnt, beginnt sie in einen lockeren Plauderton zu schalten. Es sei heute noch relativ warm für die Jahreszeit, überhaupt hätten sie hier in den letzten Wochen fast Spätsommertemperaturen gehabt. Erst gegen Abend werde es kalt, und man beginne eine Ahnung von Herbst zu bekommen.
    Hans erzählt von den Stürmen zu Hause an der Ostsee und davon, dass im Garten nur noch ein paar spärliche Blätter an den Bäumen hängen.
    »Habt ihr schon alles winterfest gemacht?«, fragt Martha.
    Er nickt. »Wir haben das Laub zusammengerecht und die Beete abgedeckt.«
    »Und den Oleander? Habt ihr den großen Kübel ins Haus gebracht?«
    »Natürlich. Euer Nachbar hat uns geholfen.«
    »Johannsen?«
    »Ja.«
    »Der Gute. Immer da, wenn man ihn braucht.« Sie setzt den Blinker, lenkt den Lancia an einem alten Stadttor vorbei in eine belebte Einkaufsstraße. »Hier können die Oleander den Winter über draußen bleiben«, fährt sie fort. »Manche von ihnen blühen sogar jetzt noch.«
    »Hier sind wir im Süden«, erwidert er.
    »Na ja, nicht ganz. Für Italiener ist dies hier strenger Norden.«
    »Wie ist die Stadt so?«
    »Bologna ist …« Sie tritt scharf auf die Bremse, weil eine Frau einen Kinderwagen über die Straße schiebt. Kurz darauf gibt sie wieder Gas. »Bologna ist ein Traum. Architektonisch, kulinarisch, überhaupt.«
    Lina sagt kein Wort. Verfolgt nur das Gespräch ihrer Eltern. Registriert den betont lockeren Ton, der sich in die Sätze setzt, die da zwischen Vorder- und Rücksitz hin- und herfliegen.
    Martha biegt links ab, fährt durch ein paar Gassen, um schließlich vor einem Turm anzuhalten.
»Prego«,
erklärt sie gut gelaunt und zeigt auf die efeubewachsene Fassade. Balkonkästen mit rosa Geranien hängen vor kleinen Fenstern. »Sieht ganz so aus, als wolltest du Rapunzel spielen.«
    Hans lacht.
    Lina beißt sich auf die Lippen.
    »Soll zu Inquisitionszeiten mal ein Gefängnis gewesen sein, hab ich gehört«, fährt Martha fort.
    »Du meinst, schlechtes Karma und so?«
    »Na ja, wunder dich nicht, falls dir nächtens ein paar Geister begegnen.«
    »Das ist gemein. Du weißt, dass ich abergläubisch bin.«
    »Deswegen warne ich dich lieber. So alte Gemäuer können was.« Ihr Ton ist spöttisch. »Aber nun richte dich hier erst mal ein. Wir telefonieren später. Ich hab uns übrigens für heute Abend einen Tisch reserviert. Gleich um die Ecke. Ist eher ein Lokal für junge Leute, aber die haben sehr gute Schinkenplatten da und passablen Wein. Und zwei, drei frische Pastagerichte gibt’s auch.«
    Er öffnet die Wagentür und steigt aus. »Ich vertraue dir«, erwidert er noch. Dann holt er seinen alten Koffer aus dem Wagen und trägt ihn zum Eingang des Turms. Er dreht sich noch einmal um und winkt. Martha winkt zurück. Lina nickt nur.
    Augenblicklich breitet sich Schweigen im Auto aus.
    Lina überlegt, was sie sagen soll. Etwas, das zu einer Situation wie dieser passen könnte. Noch immer wirkt die Unbekümmertheit, ja, fast Fröhlichkeit, mit der ihre Eltern sich nach all der Zeit begrüßt haben, in ihr nach. Hinterlässt Irritationsspuren. Sie sucht nach Worten, doch die Worte verweigern sich ihr. Es sind einfach keine da. Sie fühlt nur, wie sich ein Kloß in ihrem Hals bildet, und sie setzt alles daran, diesen Kloß wegzuschlucken, während sie aus dem Autofenster sieht und die Straßen dieser fremden Stadt an sich vorbeiziehen lässt. Sie sieht Arkaden, überall Arkaden. Orangefarbene Busse. Vespas. Irgendwann zwei große Türme, einer etwas kleiner als der andere, beide schief. Sie recken sich in einen dunkelblauen Nachmittagshimmel, der ein paar Wolken aufgezogen hat.
    Ihre Mutter fährt zügig. Sie kennt sich aus. Einmal zeigt sie nach links auf einen alten Palazzo. »Das ist meine Schule.«
    Lina sieht eine Holztür, davor einige Leute, die Zigaretten rauchen und sich unterhalten.
    »Hast du jeden Tag Unterricht?« Eine Verlegenheitsfrage.
    »Ja«, entgegnet Martha. »Grammatik und Konversation

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