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Das unendliche Blau

Das unendliche Blau

Titel: Das unendliche Blau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annette Hohberg
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Gesicht verriet ihr, dass da noch mehr passiert war.
    Er lächelte. »Es war ein guter Ort, um sich ungestört zu küssen. Man fühlte sich irgendwie nicht mehr von dieser Welt. Als sei man auf einem anderen Stern gelandet. Einem Stern, auf dem die Akkorde stimmten.«
    Lina sah auf ihre Hände. Sie hatte die Finger ineinander verschränkt, als könnte sie sich so Halt geben. Sie hatte immer geglaubt, ihr Vater und ihre Mutter hätten in einer Zweckgemeinschaft gelebt. Eine Art Zwangsbündnis, weil ein Kind gekommen war. Eine Ehe, die bereits Abnutzungsspuren trug, als sie geschlossen wurde. Jetzt spürte die Tochter auf einmal, dass da mehr gewesen war. Dass ihr Vater das Mädchen, das er auf einer Zugfahrt von Köln nach Hamburg kennengelernt hatte, wirklich geliebt hatte.
    Sie räusperte sich, und dann, endlich, stellte sie die Frage, die in ihr gor, seitdem er ihr eröffnet hatte, dass er mit nach Italien kommen wollte. »Warum willst du Mama eigentlich noch mal sehen?«
    Er holte tief Luft, aber er schwieg.
    »Ist das so eine Art Wiedergutmachung?«, schob sie nach.
    »Ich denke, man kann im Leben nichts wiedergutmachen. Man macht sein Ding, und dann muss man damit leben. Punktum. Ich mag keine Nachbesserungen. Das ist, als ob man bei einem Haus irgendwelchen Zierrat anbringt, den man gar nicht braucht und der nur billig kaschiert, was Löcher aufweist. Man baut ein Fundament, und wenn die Mauern irgendwann Risse zeigen, muss man damit klarkommen. Dann hat man Murks gemacht, aber das lässt sich nicht mehr ändern.«
    »Man kann auch reparieren.«
    »Klar, aber meist muss man dafür schweres Gerät auffahren.«
    »Nicht dein Ding, oder?«
    Er sah aus dem Fenster. Sah auf die weite Po-Ebene. Ein paar Bäche, Gruppen von Birken, Nebelvorhänge, die die Nacht aufgezogen hatte und die nicht weichen wollten, sondern sich in feinen Schleiern beharrlich über den Tag legten.
    »Wir werden sehen«, sagte er leise.
    Sie ließ das so stehen. Es gab nichts mehr zu sagen. Jetzt blieb ihnen nur noch Warten. Warten, bis der Zug sein Ziel erreicht hatte.
     
    Und nun sieht sie ihre Mutter dort auf dem Platz vor dem Bahnhof stehen und winken. Sie gibt ihrem Vater einen Stoß in die Seite, zeigt Richtung Martha und winkt zurück. Gemeinsam gehen sie auf den alten Lancia zu.
    Martha ist schmal geworden. Sie hat abgenommen, mindestens sieben, acht Kilo, schätzt Lina. Ihre Wangen haben alles ehemals Pausbäckige verloren und zeigen nun Knochen, die früher nie zu sehen waren. Die Haare trägt sie jetzt hochgesteckt. Und da ist etwas in den Augen, das anders ist. Sie haben stets ein wenig stumpf gewirkt, als hätte die Neugier sie irgendwann in diesem Leben verlassen. Als hätten sie sich gewöhnt an das, was es zu sehen gab.
    Lina schrickt fast ein bisschen zurück, als sie ihrer Mutter nach all den Wochen in die strahlenden Augen sieht. Sie erinnert sich an die Frau in dem schwarzen Kleid, die an ihrem fünfzigsten Geburtstag zwar gelacht hatte und schön ausgesehen hatte, aber zugleich auch unendlich traurig.
    »Mama«, stammelt sie und lässt ihre Reisetasche los. Die Tasche fällt mit einem dumpfen Geräusch auf das Pflaster.
    Marthas Umarmung ist fest. Sie drückt die Tochter an sich. Auch das ist neu. Sie hat Körperkontakt immer gemieden, als sei da eine unsichtbare Demarkationslinie, die sie zwischen sich und den anderen gezogen hat. Falls jemand diese Grenze überschritt, reagierte sie mit Abwehr.
    Jetzt ist es Lina, die instinktiv zurückweicht. Sie macht sich fast steif in den Armen der Mutter. Sie riecht das vertraute Parfum, möchte sich fallenlassen und kämpft doch dagegen an.
    Hans steht neben den beiden Frauen und hält sich am verlängerten Griff seines Koffers fest. Ein schwarz-blau karierter Stoffkoffer mit Flecken, der ziemlich in die Jahre gekommen ist.
    Martha lässt Lina los. Ihr Blick geht erst zu dem Koffer und dann zu Hans. »Du hast ihn noch?«, fragt sie, und dabei lächelt sie.
    Er räuspert sich. »Ja«, erwidert er. Und als müsste er sich erklären, fügt er hinzu: »Ist schließlich ein verlässlicher Reisebegleiter.«
    Marthas Lächeln wird breiter, aber sie antwortet nicht. Stattdessen wendet sie sich zum Auto und öffnet die Heckklappe des Lancia.
    »Wo hast du ein Hotel reserviert?«, fragt sie Hans.
    »Ist eher so eine Bed-and-Breakfast-Adresse«, entgegnet er und hebt das Gepäck in den Kofferraum. »In einem alten Turm.«
    »Aha.« Sie schlägt die Klappe zu. »Was Besonderes, oder?«
    »Du

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