Das unerhörte Leben des Alex Woods oder warum das Universum keinen Plan hat: Roman (German Edition)
mir ein »plausibles Motiv« gab, Mr. Peterson den Tod zu wünschen (abgesehen von all den anderen unstrittigen Motiven, über die ich in den Befragungen bereits ausführlich Zeugnis abgelegt hatte). Ich versuchte, der Polizei klarzumachen, dass dieses Motiv lediglich dann plausibel gewesen wäre, wenn ich von dem Testament gewusst hätte. Ansonsten war es nicht nur nicht plausibel, sondern brachte die Argumentationskette der Polizei gehörig durcheinander. Aber ich gewann den Eindruck, dass sie meine Worte lediglich als Ausrede werteten. Glücklicherweise, so erklärte mir mein Anwalt, musste ich der Polizei nicht beweisen, dass ich nichts von dem Testament gewusst hatte. Die Polizei musste beweisen, dass ich davon gewusst hatte.
»Wie wollen sie das beweisen?«, fragte ich.
Mein Anwalt zuckte mit den Schultern. »Indem du es gestehst.«
»Ich könnte alles gestehen«, sagte ich. »Ich könnte gestehen, dass der Papst mein Vater ist. Dadurch würde es noch lange nicht wahr werden.«
Mein Anwalt sah die Sache genauso, aber er riet mir nichtsdestotrotz, dass ich – zumindest bis die Sache fallen gelassen wurde – geduldig und humorlos bleiben solle. Das, so meinte er, sei grundsätzlich die beste Methode, wenn man es mit dem Gesetz zu tun habe.
Und so war der Tag, an dem ich das Testament endlich zu Gesicht bekam, wie gesagt, der Tag meines achtzehnten Geburtstags. Meine Mutter und Ellie begleiteten mich, als moralische Unterstützung. Es war ein sonniger Freitagmorgen, der Tag der Herbst-Tagundnachtgleiche, und das dritte Mal, dass meine Mutter an einem Werktag den Laden dichtmachte (jedenfalls soweit ich mich erinnern konnte).
Das Testament war in einer komplizierten Juristensprache verfasst, aber der Inhalt war ganz einfach. Alle Informationen, die ich benötigte, waren in einem Brief niedergeschrieben, den Mr. Peterson seiner Anwältin für mich übergeben hatte. Und in dem Brief stand Folgendes:
Lieber Alex,
tja, wenn du das liest, ist wohl alles nach Plan verlaufen und ich kann mich nicht mehr zu den Lebenden zählen. Es ist ein merkwürdiger Gedanke. Während ich dies schreibe, fühle ich mich sehr lebendig. Es ist ein herrlicher Frühlingstag, und abgesehen davon, dass ich leichte Schwierigkeiten habe, meine Schrift zu erkennen, habe ich seit dem Aufwachen noch keine Symptome bemerkt. Vielleicht hat mein Gehirn beschlossen, mir eine Pause zu gönnen, bis ich diesen Brief geschrieben habe. Was meinst du? Wäre das ein Schlag ins Angesicht der medizinischen Wissenschaft oder nicht?
Aber ich schweife ab.
Der Punkt ist: Ich weiß, dass ich jetzt tot bin. Was ich – logischerweise – nicht weiß, ist, wie viel Zeit mir noch blieb. Ich hoffe, es waren noch viele Monate. An einem Tag wie diesem erscheint mir alles möglich. Und die Tatsache, dass ich überhaupt auf mehr Zeit hoffen kann, die Tatsache, dass ich diesen Gedanken haben kann, verdanke ich dir. Ich will, dass du das weißt. Ich weiß nicht, wie lange mir noch bleibt, aber ich weiß, dass wir die Sache zu einem guten Ende bringen werden. Daran zweifle ich keine Sekunde. Wie du weißt, hatte ich mit Religion nie viel am Hut. Ich glaube nicht an vieles, aber an dich glaube ich.
Angesichts des großen Ganzen bezweifle ich, dass es viele Kreaturen gibt, denen das Privileg eines friedlichen und schmerzfreien Todes zuteil wird. So funktioniert das Universum einfach nicht, wie wir beide wissen. Ein schmerzloser Tod gehört nicht zur natürlichen Ordnung der Dinge, und die Tatsache, dass ich einen bekommen werde – dass ich einen bekam –, gibt mir das Gefühl, gesegnet zu sein.
Keine Sorge, ich höre schon auf mit diesem morbiden Zeug. Ich möchte dir nur versichern, dass ich zufrieden sterbe, und das war eine Vorstellung, die noch vor wenigen Jahren (ja, sogar noch vor wenigen Monaten) für mich undenkbar war. Wenn man sich das Leben so anschaut, dann denke ich, dass meins ein überwiegend gutes Leben war. Besonders die langweiligen Phasen habe ich genossen.
Aber die Zeit drängt, ich weiß. Deshalb komme ich auf den Punkt.
Ich habe meiner Anwältin Anweisungen hinterlassen, was mit meinem Vermögen geschehen soll, wenn ich sterbe. (Keine Sorge, ich werde nicht größenwahnsinnig: »Vermögen« nennt man in der Juristensprache die Sachen, die einem gehören.) Und es geht um Folgendes:
Ich habe einen Immobilienmakler in der Stadt beauftragt, der mittlerweile von meinem Ableben benachrichtigt sein sollte. Er wird den Verkauf meines Hauses in
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